Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Frühling gefunden?! - oder was?

Von Espalion nach Golinhac, 28 km

Wie soll man einen Blog schreiben, wenn die Tochter zwei Meter neben einem im Bett liegt und mit ihrem Freund telefoniert??? Ohne Punkt und Komma erzählt sie von den Ereignissen der letzten Tage, von Siras Ohrproblemen und hört auch mal zu, was es zu Hause für Neuigkeiten gibt. Ich will ja gar nicht zuhören, aber wie soll das gehen?

Jetzt mal Konzentration! Der heutige Morgen beginnt, wie der gestrige Abend aufgehört hat - sonnig, blauer Himmel. Das heißt, wir sehen erst gar nichts davon, denn als wir um 6 Uhr aufstehen, ist es noch dunkel. Wir wollen heute wieder etwas schneller wegkommen, denn 27 Kilometer liegen vor uns. Annis Outdoorkocher steht seit gestern abend auf dem alten Holztisch auf der Terrasse und wird von mir umgehend zum Kaffee- bzw. Teekochen sowie zur Herstellung einer weiteren Porridgemahlzeit genutzt. Mit Porridge (oder auch Haferschleim) haben wir nur gute Erfahrungen gemacht. Er fällt im Magen nicht sofort so zusammen wie das französische Baguette, sondern kleidet die Magenwände prima aus und hält eine Weile vor.
Als wir mit diesem gehaltvollen Frühstück fertig sind, leuchten die Hänge auf der anderen Seite des Lot-Tales golden in der Morgensonne, ein Esel trompetet hingebungsvoll sein Iiiiaaaaa - es wird Zeit zum Aufbruch.

Espalion liegt noch etwas verschlafen da, als wir es kurz nach 8 Uhr durchqueren. In den Gärten etwas außerhalb blühen die Bäume und viele Zierbüsche, die Wiesen sind bedeckt von Löwenzahnteppichen, es ist eine Pracht! Löwenzahn gab es auf den Hochweiden der Aubrac auch schon, von einer Baumblüte war aber noch nichts zu erkennen. Im tiefgelegenen Lot-Tal ist das anders. Hier haben wir endlich den Frühling gefunden.

27 Kilometer sind nicht wenig, aber machbar, wenn die Strecke nicht zu viele Höhenmeter hat und die Wegebeschaffenheit einigermaßen fußfreundlich ist. Für heute sind laut Wanderführer aber einige steile Schotterpfade angekündigt - und ich hasse sie. Vor allem sind sie heute größtenteils unnötig. Kleine Straßen führen um Berge herum, helfen, mühsame Auf- und Abstiege zu vermeiden. Die Strecke wird geringfügig länger, doch zeitlich ist man kaum schlechter dran. Ich bin mir sicher, die Pilger des Mittelalters haben sich immer die einfachere von zwei Wegvarianten ausgesucht, nicht die kürzeste. Sie mussten mit ihren Kräften haushalten, aufpassen, sich nicht zu verletzen. Uns geht es doch nicht anders. Wir wollen nach Santiago und kein Kraxel-Diplom erwerben. Also wählen wir heute öfter die bequemere Straßenlösung und fahren gut damit.

Auf diese Art und Weise erreichen wir bereits nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden das schmucke Örtchen Estaing. Auf der Pilgerbrücke aus dem Jahr 1520 überqueren wir die Lot und ziehen so in eins der Vorzeigedörfer Frankreichs ein. Die Häuser stehen dicht in den engen Gassen und allesamt werden sie überragt vom Schloss der einst einflussreichen Familie d'Estaing. Uns interessiert im Moment aber eher ein Laden zum Einkaufen. Da es in der Altstadt anscheinend nur eine Epicerie gibt, ist diese auch schnell gefunden. Während Anni das Nötigste holt, stromere ich mit Sira noch etwas durch die Gassen, werfe einen Blick in die schöne kleine Kirche und in den nahegelegenen Schlosshof. Als Anni mit einem frischen Baguette aus dem VIVAL kommt, bricht bei mir gnadenlos der Hunger durch. Wir setzen uns auf eine schöne Bank wieder jenseits der Pilgerbrücke und packen zum Baguette den wieder reifenden Käse aus dem Rucksack aus. Alles passt - nur das Wetter hat sich verschlechtert. Eine dunkle Wolkenwalze ist inzwischen über den eben noch blauen Himmel hinweggezogen und lässt uns frösteln.

Während der Camembert-Duft uns einhüllt, ziehen wieder Pilger an uns vorbei. Meist sind es andere als in den letzten Tagen. Vielleicht sind es diesmal die der frühen Stunde und die bekannten Gesichter kommen etwas später. Einer fällt uns aber besonders auf. Ein junger Bursche rauscht an uns vorbei. Hinten hat er sich eine Gitarre zusätzlich auf den Rucksack geschnallt. In unserer Unterkunft werden wir erfahren, dass er sein Instrument sehr gut beherrscht und sich mit Spiel und Gesang seinen Jakobsweg finanziert. Irgendsoetwas sollten wir auch tun. Vielleicht Sketche vorspielen?

Bald hinter Estaing geht es aufwärts, jetzt gibt es kein Entrinnen. 400 Höhenmeter, was ist das schon?! Und das ohne Sonne, auf einem Sträßchen, das sich in Serpentinen einen steilen Waldhang emporwindet. Die Steigung ist gerade so, dass ich richtig "hochpumpen" kann. Ich gebe Gas, Anni staunt, was der alte Sack noch so fertigbringt. Oben angekommen dampft zwar der Kessel, aber ich fühle mich gut. Doch welch anderes Bild: Heute morgen noch bei strahlendem Sonnenschein losmarschiert, jetzt bewegen wir uns in den tief hängenden Wolken, mit kaum 50 Metern Sicht, dazu ist es recht kühl. Ich bin froh, dass ich wieder meinen Anorak anhabe.

Wenn man genug hat, ziehen sich die letzten Kilometer wie Strumpfbänder. Endlich, um kurz vor 16 Uhr sind wir in der Ferienanlage von Golinhac. Ferienhütten, Snack-Bar, Kinderspielplatz, Swimmingpool. Im Rezeptionsgebäude auch eine Gite für müde Jakobspilger. Einer von ihnen, nämlich ich, macht direkt nach Ankunft (und noch vor der Dusche) ein Entspannungsnickerchen. Irgendwo muss die Kraft für's Bloggen doch herkommen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Dani (Freitag, 19 April 2013 11:48)

    Also, ich finde so langsam wird's mal Zeit für's Zelt.

  • #2

    Mama Ingrid (Sonntag, 21 April 2013 01:09)

    Ohhh, eine traumhaft schöne Gegend, traumhaft schöne Fotos - und dazu auch noch Gitarrenmusik...