Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Eselverfolgung

Von Lauzerte nach Moissac, 27 km

In der Gite Ancien Carmel in Moissac, einem ehemaligen Karmeliterkloster hoch über der alten Stadt an der Garonne, gibt es eine der wenigen Duschen, wo der Duschkopf richtig installiert ist. Ich meine, man muss ja schon zufrieden sein, wenn richtig heißes Wasser rauskommt. Wieviel schöner wäre es aber , wenn man den Duschkopf auch noch auf die richtige Höhe rauf oder runter schieben oder ihn in dem korrekten Anstellwinkel positionieren könnte. Stattdessen passt man nicht mit geradem Rücken drunter oder muss ihn sogar selbst in die Hand nehmen oder er schlappt lustlos runter und das Wasser trifft einen nicht einmal. Hier stimmt alles! Pluspunkt für Moissac!

Aber jetzt mal von vorne: In Lauzerte beginnt der neue Pilgertag mit einem üppigen Frühstück, Töchterchen hatte ja gestern noch gut eingekauft. Wenn man aber nun nicht alles im Rucksack mitschleppen will, muss man zusehen, dass man einiges weggegessen bekommt. Diese Weisheit beherzigen wir wieder mal - was mir nicht gut bekommt. Ich komme nicht richtig in Schwung, bin etwas kurzatmig, kann dem Tempo von Anni kaum folgen. Erst nach der ersten Pause läuft wieder alles wie geschmiert.

Nach dem gestrigen Abendregen scheint, als wir die Tür der Gite d'Epoche ins Schloss ziehen, die Morgensonne. In den Gassen ist es noch ruhig, schließlich ist Sonntag. Das Wehrdorf Lauzerte entstand im Zuge des Hundertjährigen Krieges, als die Grafschaften begannen, ihre Grenzen und strategisch wichtigen Punkte durch befestigte Ortschaften vor den englischen Truppen zu schützen. Viele der Häuser am Marktplatz und entlang der Straßen, durch die wir jetzt den Ort wieder verlassen, sind in den letzten Jahren renoviert worden. Fassaden aus dem Mittelalter bis zur Renaissance, Arkaden, altes Fachwerk - herrlich!

Im Ort treffen wir keine Pilger. Schon alle weg? Oder noch beim Frühstück? Die Antwort haben wir bald. Sira zieht wieder, zur Freude von Anni, an der Leine, gibt ihre hochkehligen Ungeduldslaute von sich und vollführt 180°-Sprünge. Pilgerfreunde (irgendwo) voraus! Das passiert mehrere Male. Ein Trüppchen nach dem anderen holen wir ein, meist bekannte Gesichter. Ein "Bon jour!", ein Lächeln, manchmal auch ein Tätscheln über Siras Kopf sind immer drin.

Es gibt aber jemanden, den wir ums Verrecken nicht einkriegen: Den Esel!!! Seit drei Tagen zieht er vor uns her, äppelt auf den Weg und hinterlässt seine frischen Hufspuren im regenaufgeweichten Boden. Entweder ist er mit seinem Pilgerherrn sehr zügig unterwegs und macht nie Pause - oder er ist doch ein Phantom.

Vielleicht sind meine Schmerzen in der rechten Schulter ja auch nur Phantomschmerzen. Ich fürchte aber nicht. Zu Hause muss doch mal ein Onkel Doktor drauf gucken. Jetzt hilft nur Gymnastik im Wanderschritt: Schulterrollen, Armkreisen u.a. Dazu immerwährendes Verlagern der Rucksackriemen und leises Jammern.

In unserem Pilgerführer werden für den heutigen Tag nur 150 Höhenmeter im Anstieg ausgewiesen. Ich weiß nicht, wo die Buchautorin wirklich hergegangen ist, aber das sind mit Sicherheit mehr. Auf vielen Feldwegen, und erst recht in den Hohlwegen, ist der Boden glitschig und nicht leicht zu begehen. Die Schuhe und die Innenseiten unserer Hosen sehen entsprechend aus. Wir beschließen, aufs Putzen oder Waschen vorläufig zu verzichten, da alles am nächsten Tag sowieso wieder dreckig wird. Rationalisieren des Alltags nennt man so was.

Frühling nennt man, was sich hier in der Natur oder in den Gärten abspielt. Viele Obstbäume sind schon ver-blüht, die Kastanien, an denen wir vor wenigen Tagen noch nicht mal Blätter gesehen haben, haben jetzt schon ihre Blütenkerzen aufgesetzt, und der Flieder sieht nicht nur toll aus, sondern duftet auch schwer.

Vor einem Bauernhof sitzt ein schweizerischer Pilger am Wegesrand an einem kleinen Tisch mit Kaffee und etwas Kuchen . Dabei steht die Honor-Box. Was früher vielleicht mal als nett gemeinte Erfrischung und Aufmunterung für die Pilger gedacht war, ist meines Erachtens oft zu einer kleinen Abzocke geworden: Ein Euro für einen kleinen Kaffee im Mini - Plastikbecher? Muss man sich an Pilgern bereichern? Trotzdem bin ich drauf und dran, mir einen zu gönnen, wenn nicht wieder ein keifender Hund auf uns zurennen würde. Anni möchte weiter, zu tief sitzt noch der Schock vom Schäferhund-Biss. Also weiter!

Ein paar Kilometer weiter, an der Auberge de l'Aube Nouvelle, dann doch eine angenehme Rast. Sira trifft einen netten Hundefreund, mit dem sie sich sofort gut versteht und in den Spielmodus übergeht, Anni und ich werden von einem englischen Ehepaar bewundert, das gerade Frankreich auf derselben Route besucht wie vor genau 50 Jahren - auf seiner Hochzeitsreise. Alle Pilger, die wir im Laufe des Morgens überholt haben, kommen jetzt wieder an uns vorbeigezogen. Das ist wie beim Formel-1-Rennen und seinen Boxenstopps: Man liegt im Rennen vorne und muss dann zum Nachtanken raus. Andere haben so Gelegenheit, sich nach vorne zu schieben, müssen aber bald selbst raus und die Reihenfolge ändert sich wieder. Mit der ersten überholenden Pilgergruppe ist aber auch Siras Freund verschwunden - schade! Nach den unschönen Erfahrungenen wäre das vielleicht eine ganz nette Therapie gewesen.

Kurz vor Moissac ändert sich die Landschaft. Nach vielen Tagen auf den kargen Hochebenen, kommen wir jetzt ins Tal der Garonne, in die Gascogne. Es geht bergab, an Weinhängen und Obstbäumen vorbei. Viele Obstbaumreihen sind inzwischen mit großen Netzen abgespannt - den Vögeln keine Chance!

Die Abteikirche St. Pierre in Moissac ist beeindruckend. Während ich sie und den berühmten Kreuzgang des ehemaligen Klosters besichtige, warten Anni und Sira draußen. Sie langweilen sich nicht. Immer wieder sind sie Anlaufstation von Passanten und Touristen, die sie nach ihrer Pilgerschaft befragen. Sira kann natürlich nicht antworten, ist aber trotzdem der Star.

In unserer Unterkunft "Ancien Carmel" beziehen wir das "Lassie-Zimmer". Anni ist von der Gastfreundschaft ganz begeistert, da haben wir kürzlich ja auch schon mal andere Erfahrungen gemacht. Sie telefoniert gerade mit einem ihrer großen Brüder - und Sira liegt zufrieden neben ihr auf ihrer Decke und schläft. Morgen muss sie wieder ran.

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Dienstag, 30 April 2013 00:05)

    Die Sira, die Süße! Was sie wohl schreiben würde zu all dem? Es fasziniert mich immer zu lesen, was sie für ein "Pilgerhund" geworden ist, dass sie die anderen Pilger schon von weitem freudig erschnüffelt! Offensichtlich hat sie die ihr entgegengebrachten Aufmerksamkeiten und Streicheleinheiten fest auf der positiven Haben-Seite gespeichert.
    DU, Reinhard? DU kannst Annis Tempo kaum folgen? Alle Achtung, Anni, das heißt was!
    Oh, Rationalisierung des Alltags?! Cool! Ich kenne noch jemanden, der davon ne Menge versteht!
    Schade, schade, dass es mit den Fotos wieder nicht klappt, neben allem anderen bin ich neugierig auf den kleinen Pilger-Esel, aber den habt ihr ja eh noch nicht vor die Linse bekommen, oder?
    Viel Spaß im "Lassie-Zimmer".
    Küssi

  • #2

    Dani (Dienstag, 30 April 2013 09:28)

    Also sommermässig seid ihr uns mittlerweile um einiges voraus. Ich halte die Daumen dass die Schulter nicht schlimmer wird.