Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Sira: Jetzt sag ICH mal was!

Von Moissac nach Saint-Antoine, 32 km

  Frauchen hat sich ein blödes neues Spielzeug gekauft. Sie hat jetzt ein eigenes Stöckchen. Ein großes. Und sie will es ganz für sich alleine haben. Immer, wenn ich mal ein bisschen daran rumknabbern oder es durch die Gegend schleudern will, sagt sie: "Frollein, bleibst du wohl von meinem Pilgerstab!" Dann soll sie doch nicht so ein leckeres Hölzchen kaufen... Und ewig wedelt sie damit vor meiner Nase rum. Das finde ich gemein. Immer, wenn ich ein leckeres Reh oder einen schwitzigen Pilger in der Nase hab und losstürmen will, stört mich der blöde Stock, den Frauchen dann immer ausgerechnet auf "meiner Seite" benutzen muss. Aber irgendwann mal, wenn sie nicht aufpasst, dann schnappe ich ihn mir und kaue ihn kurz und klein. Ich krieg hier sowieso viel zu selten mal was Ordentliches zu kauen. Zuhause hab ich immer ein Stöckchen und Knochen und Schweineohren und sowieso ganz viele tolle Sachen. Hier muss ich mir immer die Mühe machen, mir mein Spielzeug selbst zu suchen und es dann auch noch zu tragen, bis wir fertig sind mit Laufen. Und manchmal dauert es seeehr lange, bis wir fertig sind. Heute war so ein "manchmal".

  Erstmal bin ich heute mit Bauchschmerzen wach geworden. Ich glaube, das kommt von der leckeren Lasagne, die die netten Leute von unserem Schlafplatz mir gegeben haben. Sie war sooooo lecker! Aber auch viel zuviel. Aber wenn man schon mal sowas Gutes bekommt, esse ich eben soviel wie möglich . Und jetzt ist mir schlecht. Ich wollte heute morgen noch nicht einmal frühstücken.

Heute Nacht haben wir in einem tollen Haus geschlafen. Alle waren so nett zu mir und in dem kleinen Garten roch es ganz lecker nach Katze. Gesehen hab ich sie aber nicht. Leider! Die hätte mir noch besser geschmeckt als Lasagne!

Heute morgen verarztet mir Frauchen wie jeden Tag meine Ohren und meine Füße. An die Creme und die blöden Tropfen fürs Ohr hab ich mich längst gewöhnt. Da halte ich ganz still, bis es zu doll kitzelt und ich mich schütteln muss. Aber seit die Creme für meine Füße leer ist, sprüht mein Frauchen mir so ein komisches Zeug auf die Füße. Das kitzelt schrecklich! Zum Glück kriegen wir bald wieder Melkfett. Das Eincremen mag ich viel lieber als das Sprühen.

Als Frauchen mir den Rucksack aufgeschnallt hat, bin ich wie jeden Morgen ganz hibbelig. Bald geht es los. Ich kann es nicht mehr abwarten und tigere im Kreis durch unser Zimmer. Frauchen und Papa fluchen dann immer, weil ich überall vorhaue, auch vor ihre Kniekehlen, aber das ist mir egal. Bis wir gehen, mache ich weiter.

Alles ist etwas anders als sonst. Mit uns spaziert ein neues Geräusch; das "Klackklack!" von Frauchens neuem Spielzeug. Ich hab mich bald dran gewöhnt und widme mich Wichtigerem: dem Stadtmagazin. Frauchen nennt das immer so, weil ich besonders in Städten an jedem Blumenkübel stehen bleiben und schnuppern muss, wer dort so alles hingepieselt hat. So erfahre ich das Neueste vom Neuen und wer was zu sagen hat. Wie Zeitung lesen eben. Und hier dann eben nicht nur Zeitung, sondern Stadtmagazin.

Bald kommen wir an den kleinen Kanal. Hier finde ich es langweilig. Keine Enten, kein Stadtmagazin mehr. Aber dafür hab ich bald wieder Pilger in der Nase. Ich rufe sie, ich versuche sie zu kriegen, aber Frauchen lässt mich ja nicht. Ich glaube, sie versteht nicht, dass wir alle zusammen bleiben müssen. Das macht man doch so als Rudel! Und wenn sie schon nicht dafür sorgt, muss ich das halt tun. Ich gebe zumindest mein Bestes, sofern das mit der lästigen Strippe möglich ist, die mich und mein Frauchen den ganzen Tag verbindet.

Nach einiger Zeit gehen wir auf einen Berg. Die anderen Pilger leider nicht. Da sehe ich ein, dass ich sie nicht kriegen kann und laufe gemütlich neben meinem Frauchen her. Das ist manchmal auch ganz schön.

Oben auf dem Berg will Papa oben über die Straße gehen. Frauchen will aber lieber den spannenden Weg über den Feldweg, durch den Wald und ins Tal und wieder hinauf gehen. Und dann verstehe ich die Welt nicht mehr: Papa geht tatsächlich in eine andere Richtung als wir! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Sogar mein kleines Rudel ist zu dumm, um zusammen zu bleiben! Immer wieder dreh ich mich nach hinten um, aber Papa kommt nicht nach. Als wir ein Stück gelaufen sind und ich die Hoffnung fast aufgegeben habe, treffen wir uns aber zum Glück wieder. Immerhin!

  Bald machen wir Pause. Frauchen holt wie immer erstmal meine Wasserschüssel raus und legt mir eine Handvoll Futter hin. Aber ich hab keinen Hunger. Mir ist noch immer etwas übel von der Lasagne. Als ich gerade ein Schläfchen mache, schrecke ich plötzlich auf: ein kleiner hässlicher Hundemann schleicht sich an. Zum Glück ist das kein großer Kerl, denn auf die bin ich im Moment nicht gut zu sprechen. Trotzdem weiß ich nicht so recht, was ich tun soll, also knurre ich vorsichtshalber. Das findet er doof. Er geht weg, bevor ich ihn beschnuppern kann. Mmh, so war das nun auch nicht gemeint. Ich winsle ihm nach, schaue hilfesuchend mein Frauchen an, aber das zuckt nur die Schultern. Der kleine Fremdling mit den krummen Beinen trappelt davon, ohne sich nochmal nach mir umzudrehen. Püh, dann eben nicht!

Bald sind wir in Malause, wieder am langweiligen Wasser. Dafür hab ich endlich wieder Pilger in der Nase und im Blick, die ich versuchen kann zu kriegen. Als wir wieder Pause machen, kommen sie ganz von selbst. Ich wedle mit dem Schwänzchen und werde dafür zu Belohnung von jedem kurz getätschelt, der vorbeikommt. Fotos haben sie ja alle schon...

Bis nach Espalais laufen wir jetzt ganz langweilig an der Straße entlang und Frauchen nervt mich immer wieder mit ihrem blöden neuen Stöckchen vor meiner Nase.

  Die nächste Pause machen wir bei einem Mann und einer Frau, die ganz nett zu meinen Menschen sind. Sie kriegen was zu trinken und dürfen auf das Klo und werden sogar gefragt, ob sie was essen möchten. Wieso fragt mich eigentlich keiner?!? So eine leckere dampfende Kartoffel oder ein Stück von dem duftenden Käse würde ich schon nehmen. Mir ist gar nicht mehr übel! Ich würde aber auch die Katze nehmen, die ich hier auf jedem Sitzkissen erschnuppere und die mich fast verrückt macht. Das Gemeine ist ja, dass Frauchen lange vor mir gesehen hat, dass der Leckerbissen in den Dachbalken der offenen Scheune, in der wir sitzen, hoch über uns herumklettert. Als ich sie dann endlich bemerke, will ich sie unbedingt kriegen. Ist mir jetzt egal, ob Frauchen dabei fast vom Stuhl fällt! Aber leider hat die sich schnell wieder im Griff und sagt mir (wie immer, wenn ich was mache, was ihr nicht gefällt), ich solle mich hinlegen und den Mund halten. Ich motze noch ein bisschen. Dann hab ich mich gerade beruhigt, als plötzlich ein riesiges Monster vor mir steht. Es hat auch so Taschen an wie ich, ist aber viiiiel größer, riecht komisch und hat so lange Haare am Po! Frauchen und Papa freuen sich sehr, weil wir schon die ganzen letzten Tage die Fußspuren und die Köttel von diesem Monstrum verfolgen. Der Mann, der mit dem Monster gekommen ist, erzählt, er hätte schon viel von uns und besonders von mir erzählt bekommen. Der Eselmann fotografiert uns, Papa fotografiert den Eselmann und dessen Esel und ich bin froh, als wir weitergehen und ich mich endlich nicht mehr aufregen muss. Und sogar da sagt Frauchen, ich soll die Klappe halten! Wenn ich mich so fürchte! Manchmal verstehe ich mein Frauchen nicht...

Als wir weiter durch den Ort gehen, rieche ich überall noch mehr köstliche Katzen. Und dann sehe ich eine direkt vor mir! Ich versuche sie mit aller Kraft und einem schnellen Haps zu kriegen, aber mein Frauchen ist blöderweise immer noch stärker. Außerdem schimpft sie ganz doll mit mir. Das ist mir aber im Moment egal, denn das blöde Fellknäuel sitzt immer noch an der gleichen Stelle. Ich stemme mich weiter gegen mein lästiges Anhängsel, werde aber einfach weggezogen. Manno!

In Auvillar finden meine Menschen es sehr schön, aber mir ist langweilig, weil es einfach nur eine alte Stadt mit vielen Steinen ist.

Als wir unter der Autobahn hergehen, klingelt Frauchens Telefon. Irgendwie weiß ich, jetzt ist was in der Luft. Papa telefoniert mit Johan, das kann ich hören. Sie verabreden ein Treffen heute Abend in der Unterkunft. Jipieh! Dann wächst unser Rudel wieder! Und den Johan mag ich besonders gern, obwohl der mir nie was von seinem Essen gibt.

Den Rest des Weges kann ich es nicht erwarten, zu unserem Schlafplatz zu kommen. Ich ziehe und ziehe und Frauchen nervt mit ihrem Stöckchen. Und dann fängt es auch noch an zu regnen.

Irgendwann kommen wir endlich an. Ich bin nass und kaputt und will einfach nur den Rucksack ausziehen und schlafen. Hier im Flur ist aber alles voller Leute. Viele kenne ich nicht, aber Anne, Johan und Nanni sind wenigstens auch da. Frauchen und Papa müssen unbedingt noch einen Begrüßungsdrink nehmen und einchecken. Mir reicht's. Ich knalle mich mit Sack und Pack mitten in die kalte Küche und es ist mir egal, ob alle über mich drübersteigen müssen und ich müffle.

Als wir nach dem langen Tag in unser Zimmer kommen, legt Frauchen mir meine Decke vor die Heizung, gibt mir Futter und Wasser, verarztet mich und gibt mir eine lange Massage. Und wenn sie das macht, sind für mich fast die Mühen des Tages vergessen. Und wenn ich mich dann auf meiner Decke zusammenrolle und zufrieden seufzend einschlafe, träume ich bald von all dem, was ich den ganzen Tag erlebt habe. Und ich erlebe eine ganze Menge!

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Kommentare: 3
  • #1

    Mama Ingrid (Mittwoch, 01 Mai 2013)

    Hab Siras Geschichte vorgelesen, Amelie saß auf meinem Schoß und hat gebannt zugehört. Wieso Sira auf einmal reden kann, mussten wir ihr natürlich erstmal erklären. Vielen Dank für die reizende Story.
    Habt ihr den Esel endlich doch eingeholt! :-)

  • #2

    Dani (Donnerstag, 02 Mai 2013 08:35)

    Sehr geil Sira.

  • #3

    Sebastian (Donnerstag, 09 Mai 2013 19:53)

    Dieser Eintrag hat mir wirklich Spaß gemacht, sowas darf Sira öfter schreiben!!