Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: So gefällt mir das!

Von Valcarlos nach Espinal, 17 km

Jetzt ist es also soweit. Nach Wochen und Tausenden Kilometern haben wir Frankreich also tatsächlich hinter uns gelassen. Und wer hätte das gedacht, ich trauere diesem Land sogar ein bisschen nach. Wir hatten uns gerade eingefunden, kommen gerade zurecht und müssen jetzt wieder bei Null anfangen. In Spanien sprechen wir die Sprache nicht. Wir kennen die Wege nicht. Und wir verstehen die Mentalität und die Eigenheiten noch nicht. Hier grüßt uns nicht jeder Einzelne. Man fühlt sich fast beleidigend missachtet. Wir sind hilflos und in der Fremde. Aber auch hier werden wir das schaffen und uns irgendwie durchwurschteln.

Ein weiterer spannender Punkt ist, wie Sira hier wohl angenommen wird. Seit wir gestern die Grenze überquert haben, habe ich das Gefühl, dass sie komisch angesehen wird, teilweise sogar angewidert. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, weil die Spanier im Allgemeinen verschrien sind für ihren Hundehass. Offenkundig angefeindet hat uns bisher noch niemand und solange das so ist, bin ich zufrieden. Interessanterweise fanden wir gestern ja auch gleich bei der Grenze einen riesigen Tierhandel, wo ich für Sira Ersatzhalsband und -leine (die alte ist schon ganz schön durchgescheuert) und einen Maulkorb aus Nylon ( damit dürfen wir vielleicht auch mal in ein Café...) kaufen konnte. Außerdem hab ich uns einen Puschel (Hundespielzeug) geleistet. Endlich mal wieder ein bisschen spielen wie zu Hause! Aber wenn es hier so einen Laden gibt, können die ja nicht alle sooooo anti Hunde sein... In unseren Unterkünften gestern und heute hatten wir auch Glück, denn man tätschelte dem Hund tatsächlich mal über den Kopf und auch sonst war alles problemlos. Ab übermorgen haben wir sowieso unser Zelt, dann kann mir das Verhältnis von Herbergseltern zu Hunden egal sein.

In den vergangenen zwei Wandertagen habe ich weitaus mehr arme Hunde in zu kleinen Zwingern oder an zu kurzen Ketten gesehen als in den vergangenen Wochen. In der letzten Nacht hat mich einer von ihnen quasi durchgehend wach gehalten. Irgendetwas passte ihm wohl dauerhaft nicht. Er bellte alle halbe Stunde fünf Minuten lang. Wenigstens hat Sira nicht mit eingestimmt.

Als um sechs der Wecker klingelt, ist mir das eindeutig zu früh. Eine halbe Stunde noch. Beim nächsten Klingeln gebe ich mich geschlagen. Zwei Stunden später verlassen wir vier das Haus.

Schweren Herzens lassen wir den wunderschönen Blumenstrauß stehen, den Veronika gestern unterwegs gepflückt hat. Schön, wenn endlich mal wieder jemand ein bisschen Wohnkultur in unser Nomadenleben bringt! Es wird wohl nicht der letzte Strauß sein...

Wir begeben uns entlang der N135 an den Aufstieg zum Ibañetapass. Zu unserer Linken ragt majestätisch der Pyrenäenkamm empor, über den sich alle Pilger kämpfen, die sich nicht wie wir für die flachere Variante über Valcarlos entschieden haben.

Nach einer Weile an der Straße, stetig leicht bergauf, zweigt der Jakobsweg in eine kleine Teerstraße ab, die bergab führt. Papa will sich die bergauf/bergab-Schikane sparen und bleibt auf der Straße. Ich entscheide mich für die Schikane. Keine Lust mehr auf die langweilige N135. Also mal wieder Hase und Igel... Veronika sucht noch nach dem geringsten Übel und entscheidet sich, Papa zu begleiten. Sira und ich stapfen den Weg gemeinsam hinunter zum verschlafenen Nest Gainekoleta. Immer wieder blickt Sira suchend zurück. Es passt ihr gar nicht, dass wir einen Teil des Rudels verloren haben. Vor den ersten Häusern frage ich mich, was wäre, wenn uns jetzt ein Hund angreifen würde. Mit Pfefferspray in der rechten und dem Pilgerstab in der linken Hand laufen wir selbstbewusst in den verschlafenen Ort. Uns begegnet nichts und niemand. Hinter den letzten Häusern wird der Weg abenteuerlich. Über Geröll, Matsch und Waldboden bewegen wir uns vorwärts, immer in der Nähe des rauschenden Bergbachs. Sira hat keinen Blick für den aufregenden Waldpfad, sondern sucht lieber die Hänge oberhalb der anderen Bachseite ab, weil sie dort die andere Rudelhälfte vermutet. Dummerweise bekommt sie deshalb auch nichts mit von dem Eichhörnchen, dass aus vierzig Metern Entfernung auf uns zu galoppiert. Es bleibt kurz stehen, mustert uns - und galoppiert weiter! Ich lenke Sira solange ab, bis es sich in einen Baum retten kann und wir können passieren. Nach einem letzten steilen Anstieg erreichen wir Papa und Veronika, die bereits auf uns warten. Sie mögen vielleicht schneller gewesen sein, aber schöner war definitiv unsere Wahl.

Nach einem weiteren Kilometer an der N 135 zweigt der Weg erneut ab. Diesmal hat Papa keine Wahl. Er muss mit! Über teilweise geröllige, steile Pfade führt der Weg immer weiter bergauf. Papa hat mit seinem Gefährt zu kämpfen. Ich biete ihm an zu schieben, wenn er Sira und den Stab nimmt. Gesagt, getan! Ich schiebe, Sira zieht, Papa stößt sich mit dem Stab ab - er fliegt fast zum Ibañetapass!

Vorher ist allerdings ein Päuschen angesagt. Direkt am Weg lassen wir uns nieder. Wie ich leider erst später merke, im absoluten Zeckengebiet. Während der Pause noch sehe ich sechs oder sieben Zecken in Siras Fell, die nach einem Anlegeplatz suchen. Zum Glück bin ich schneller und erledige sie vorher.

Für das letzte anstrengende Stück Anstieg vorm Pass muss ich Papa sogar helfen, den Wheely ein paar Stufen die Treppe hinauf zu tragen.

Am Pass parkt eine Art Wohnwagen. Eine Frau ist offensichtlich in der Küche beschäftigt und ich sage aus Scherz zu Papa, man habe für uns Kaffee gekocht. Die Dame ist aus Holland, hört das und bietet uns tatsächlich eine Kanne Kaffee an! Fast beschämt fügt sie hinzu, der sei aber schon zwei Stunden alt. Haha! Da haben wir aber schon ganz andere Sachen getrunken! Zusätzlich bekommen wir noch ein Stück Kuchen und einen Sitzplatz. So lob ich mir das!

Das Wetter hier oben hat sich schlagartig verändert. Wir haben das Gefühl, aus einer Wolkenwand zu treten. Aus diesigem, nebligem  Herbstwetter wird plötzlich strahlender Sonnenschein und blauer Himmel. Fast surreal!

Am Pass treffen die beiden Varianten, zwischen denen man wählen könnte, wieder zusammen. Spätestens jetzt ist man auf dem Weg, den Millionen begangen haben, den Hunderte in ihren Büchern beschrieben und in ihren Filmen behandelt haben. Das ist ein ganz komisches Gefühl.

Nach dem Abstieg durch schönstes Frühsommerwetter erreichen wir bald Roncesvalles, einem Ort, der eigentlich nur aus einer riesigen Abtei besteht. In dieser Abtei befindet sich vor allem eine der stattlichsten Pilgerunterkünfte am gesamten Jakobsweg. Über dreihundert Pilger können hier insgesamt in vier Schlafsälen unterkommen. Kein Wunder, dass es hier nur so wimmelt  vor Pilgern allen Alters, aller Statur und jeder Nationalität. Als Papa gerade mit frischen Stempeln aus dem Pilgerbüro kommt, ist plötzlich das Gejubel groß: Alain und die "Pastorenbrüder" kommen uns entgegen, wild winkend. Seit drei Wochen haben wir sie nicht mehr gesehen und jetzt sind wir tatsächlich zur gleichen Zeit hier. Unfassbar! Überschwängliches Küsschen rechts, Küsschen links, ein paar Sätze, die man wechselt und schon trennen wir uns wieder mit einem "Buen Camino!" So ist das eben auf diesem Weg. Man trifft sich, man verliert sich.

Bis zu unserem Etappenziel Espinal ist es jetzt nur noch ein Katzensprung, durch einen Wald, das Dorf Burguete und über idyllische Felder. Im nächsten Wald gilt es, mehrere Bäche auf massiven Steinplatten zu überqueren. Nach einem letzten steilen Anstieg erreichen wir das beschauliche Dörfchen Espinal.

Unsere Unterkunft ist wunderschön, quasi neu, mit dem Hund ist alles kein Problem und Veronika kocht für uns. Ein guter Tag! Das Leben kann so schön sein!



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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Dienstag, 14 Mai 2013 00:13)

    Okay! Nur noch 790 Kilometer! Aber Sira ohne Rucksack sieht so seltsam aus - irgendwie nackt.
    Hihi, gerade ein paar Brocken Französisch gelernt, jetzt wieder in der Fremde... Klar wuselt ihr euch auch da durch.
    Mh, 300 Pilger in 4 Schlafsälen, das macht... na ja, jedenfalls ein ganz schönes Geschnarche!
    Echt mutig, dass du mit Sira wieder allein gegangen bist!!!
    Okay, Friede, Freude, Eierkuchen-

  • #2

    Reinhard aus Bochum (Dienstag, 14 Mai 2013 12:02)

    Hallo Annika, Veronika, Sira und Reinhard,

    ich habe euch eingeholt - seit letzten Donnerstag habe ich jede freie Minute damit verbracht, eure Berichte zu lesen. Nun verfolge euch täglich, bis ich Anfang Juni auf Radtour gehe.

    Ich bin begeistert von euren Berichten/Bildern und staune über eure Kraft - seit Mitte Febr. jeden Tag auf Achse - davor ziehe ich meinen Hut.

    Wünsche weiter einen guten Weg ohne Zwischenfälle.

    Bis demnächst
    Reinhard