Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Immer mit dem Pilgerstrom

Von Espinal nach Zubiri, 16 km

Bilde ich mir das nur ein oder ist das wirklich so? Ich habe das Gefühl, als wäre die spanische Sonne direkt viel wärmer als die französische. Dabei liegen nur die Pyrenäen dazwischen. Schon als wir unsere Albergue verlassen und die ersten Meter die Straße entlangmarschieren, merke ich, dass wir heute ins Schwitzen kommen werden.

Wir sind etwas später dran als üblich und als wir uns durch die enge Dorfstraße von Espinal bewegen, laufen wir recht bald im Pulk all jener Pilger, die heute morgen früh in Roncesvalles gestartet sind. Da laufen sie alle, die Jungen, das gestandene Mittelalter und die Alten. Alleine, mit Partner oder in der Gruppe. Einige sind fetzig gestylt, ihnen ist wahrscheinlich das Gesehenwerden wichtiger als das Pilgern selbst. Andere sind zweckmäßig gekleidet, kennen was vom Wandern. Der eine und die andere leiden offensichtlich jetzt schon. Untrainiert haben sie vielleicht gestern in St.-Jean-Pied-de-Port angefangen und sich direkt die schwere Etappe bis Roncevalles zugemutet. Jetzt haben sie die Quittung. Die wenigsten haben wir schon mal gesehen, die meisten werden in St.-Jean losgelaufen sein.

Inzwischen gibt es zwei Hauptpilgerzeiten auf dem Camino Frances. Waren es früher noch der Juli und August, die das höchste Pilgeraufkommen in die Statistik einbrachten, so kommen heute Mai und Juni dem sehr nahe. Ich jedenfalls hätte mit so vielen Rucksack- und Muschelträgern noch nicht gerechnet. Eventuell muss sich nach dem Aufbruch in St.-Jean auch erst mal alles etwas verlaufen.

Am Anfang der Etappe sind die Wege mustergültig, fast zu mustergültig. Kaum Schotter, eher feiner Split oder weicher Waldboden. Über einige Zeit schreiten wir sogar über breit angelegte Plattenwege, die manchmal Treppenstufen aufweisen, manchmal so ausgebaut, dass sogar Radpilger oder solche mit Wheelys Höhendifferenzen gut bewältigen können. Doch wieweit will man den Menschen das Pilgern noch bequemer machen? Gibt es, nach Gepäcktransport und busunterstützter Pilgerreise, bald noch die laufbandunterstützten Auf- und Abstiege?

In Viscarret sitzen viele Pilger draußen vor einem Café und frühstücken oder gönnen sich einfach ihre zweite Tasse Kaffee. Wahrscheinlich sind sie schon so früh losgelaufen, dass noch kein Frühstück ausgegeben worden ist. Oder sie gehören zu der Kategorie von Menschen, die zu Hause auch erst an der Arbeitsstelle ihr Frühstück einnimmt . Jedenfalls sind viele Tische voll besetzt. "Na, wie läuft's mit der Karre?" hören wir auf einmal. Ein braungebrannter Mann steht strahlend von seinem Tisch auf und kommt auf uns zu. Es ist der Schwabe, den wir bei Fritz Kleinert in Lamothe kennengelernt und dann aus den Augen verloren haben. Er fragt nach meinen Erfahrungen mit dem Wheely und ist sichtlich erfreut, dass ich nur Gutes zu erzählen weiß. Wir wünschen uns gegenseitig einen "Bon Camino!", wir ziehen weiter und er trollt sich auf seinen Platz zurück. 

Nur gut hundert Meter weiter gibt es einen gutsortierten Lebensmittelladen. Wir brauchen was zum Abendessen und Anni und Veronika gehen rein. Für mich ist es unmöglich, mit Sira vor dem Laden zu warten - es wimmelt von Katzen. Wir beide gehen ein Stück voraus und lassen uns dreihundert Meter weiter am Wegesrand nieder. Am Café scheint gerade groß abgerechnet worden zu sein, denn auf einmal ziehen Pilgerströme an mir vorbei.
Ich habe das Gefühl, einem Potpourri beizuwohnen. Pilger im Café, Pilger beim Einkauf, vorbeiziehende Pilgermassen, all dies wird mir in Abwandlungen die nächsten Wochen immer wieder begegnen.

Als die Frauen vom Einkauf kommen, wollen sie noch etwas pausieren. Genehmigt! Dann rücken sie mit der Sprache raus: Im Internet haben sie herausbekommen, dass das Paket mit unserer Zeltausrüstung noch nicht in Pamplona angekommen ist - und morgen sind wir in Pamplona!!! Na bravo! Aber Zelten wird in dieser Stadt sowieso schwer werden, also müssen wir uns ganz schnell um ein Quartier kümmern - das auch einen Hund akzeptiert. Ich rufe die Casa Paderborn an, eine deutsche Pilgerherberge in Pamplona, und frage um Rat. Einen Hund nehmen auch sie nicht auf, versuchen uns aber mit der ein oder anderen Telefonnummer zu helfen. Anni versucht ihr Glück - und findet es. Ein kleines Hotel nimmt uns auf.

Mit dieser Erleichterung im Rücken erklimmen wir über oft schattige Waldpfade den Erro-Pass, halten noch eine kleine Siesta auf einer sonnigen Pyrenäen-Wiese und sind dann auch schon bald in Zubiri, wo für heute Schluss ist.

Veronikas Kochkunst beschert uns ein köstliches ... na ... na ...? Nudelgericht! Serviert in Annis Einzelzimmer.

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Mittwoch, 15 Mai 2013 23:21)

    Tolles Foto!
    Was haben die Pilger nur früher ohne Handy und Navi gemacht?!

  • #2

    Dank (Donnerstag, 16 Mai 2013 14:18)

    Welch krasser Wandel. Erst die totale Einsamkeit und jetzt ein Teil unter Tausenden. Pilgergemeinschaft GO GO GO!!!