Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Ein Gedicht

Von Navarrete nach Najera,19 km

Als wir aufstehen, ist der Himmel blau, als wir von Navarette losgehen, zieht er sich wieder zu, und nach der ersten Rast setzt leichter Regen ein. Soweit die kurze Tageszusammenfassung. Aber etwas mehr ist schon passiert.

Für Veronika steht um 8.30 Uhr das Taxi vor der Hostal-Tür. Sie tritt wieder die Heimreise an. Und die gestaltet sich etwas kompliziert. Da es tatsächlich von Navarette nach Burgos keine Bus- oder Zugverbindung gibt, bleibt nur das Taxi. Von Burgos aus geht ein Bus nach Madrid zum Flugplatz, von da ein Flieger endlich Richtung Heimat. Ganz schön umständlich!

Als das Taxi die Gasse hinunter verschwindet, setzen auch wir uns in Bewegung. Am Ortsausgang treffen wir auf "die Belgierin" Ingrid, der wir in den letzten Tagen fast täglich begegnet sind und die eine große Verehrerin von Sira ist. Sie ist in Begleitung von einem Amerikaner, John, in meinem Alter, mit dem sie schon seit Pamplona zusammen läuft. Weil es sich sehr angenehm und unterhaltsam mit ihnen reden lässt, bleiben wir wie selbstverständlich aneinander hängen und den ganzen Tag über zusammen. Während Anni naturgemäß intensiver mit der wohl etwa gleichaltrigen Brüsselerin redet, sind John aus Detroit und ich aus der Siegmetropole Helpenstell, ebenfalls gleichaltrig, hauptsächlich mit uns beschäftigt. Wir alle sprechen über Gott und die Welt und merken dabei kaum, wie die Zeit und die Kilometer vergehen.

In einer Bar in Ventosa legen wir nach knapp zwei Stunden eine Rast ein. Noch vor einiger Zeit hätte ich nicht gedacht, dass es mir gegen Ende des Monats Mai in Spanien nach einem Heißgetränk gelüsten würde. Auf den Gipfeln mancher Berge in der Umgebung liegt wieder Schnee !Trotz Fleecejacke und Anorak und strammem Pilgerschritt fröstel ich. Vielleicht liegt es aber auch an meiner störenden Formkrise, hervorgerufen durch eine leichte Magenunpässlichkeit. Drinnen in der Bar haben sich wieder viele Pilger eingefunden, davon einige bekannte Gesichter. Der ein oder andere sieht schon jetzt ganz schön fertig aus. Das kann ja wohl nicht sein, Freunde, der Tag hat doch gerade erst angefangen! Mit dem treuesten Augenaufschlag, der mir im Moment zur Verfügung steht, kann ich die Wirtin dazu bringen, dass Sira mit rein darf. Diese weiß das auch zu schätzen und strebt mit ihrem Frauchen der äußersten Ecke zu, mit dem besten Vorsatz, sich vorbildlich zu benehmen. Das gelingt ihr auch - bis zu dem Moment, wo draußen ein anderer Hund bellt. Das kann Sira so natürlich nicht unwidersprochen stehenlassen. Sie bellt auch. Anni fürchtet um ihren warmen Platz in der Bar und hält Sira kurzerhand das Maul zu und unsere Hundedame verstummt augenblicklich. Das sieht so urkomisch aus, dass nicht nur ich lachen muss, sondern auch andere Gäste.

Nach etwa einer halben Stunde gehen wir als Vierergespann mit Hund weiter. Wir sind nun wetterfest gekleidet, hoffen aber, dass es mit dem Regen nicht so schlimm wird. Wir hoffen nicht vergebens und ich brauche noch nicht mal meinen Schirm aufzuspannen. So vergeht auch der zweite Teil des Tages durch die Weinfelder der Rioja mit dem Dreiklang von Gehen, Reden und Schauen und wir erreichen unser Tagesziel Najera eher als erwartet.

Kurz vor den ersten Häusern der Stadt wird der Jakobsweg von einer hohen Mauer zu einer Fabrik hin begrenzt. Auf die glatte Wand dieser Mauer hat jemand ein Gedicht über diesen Weg geschrieben. Es wurde ursprünglich verfasst von Garibay Daños, einem Priester, der in Najera lebte und dort die Pilger tatkräftig unterstützte. Neben dem spanischen Originaltext steht die deutsche Übersetzung, die ich diesem Tagesbericht mal hinzufügen möchte.

 

Staub, Schlamm, Sonne und Regen,

das ist der Weg nach Santiago.

Tausende von Pilgern

und mehr als tausend Jahre.

 

Wer ruft dich, Pilger?

Welch geheime Macht lockt dich an?

Weder ist es der Sternenhimmel

noch sind es die großen Kathedralen,

 

weder die Tapferkeit Navarras

noch der Rioja-Wein,

nicht die Meeresfrüchte Galiziens

und auch nicht die Felder Kastiliens.

 

Pilger, wer ruft dich?

Welch geheime Macht lockt dich an?

Weder sind es die Leute unterwegs

noch sind es die alten Traditionen,

 

weder Kultur und Geschichte

noch der Hahn Santo Domingos,

nicht der Palast von Gaudi

und auch nicht das Schloss Ponferradas.

 

All dies sehe ich im Vorbeigehen

und dies zu sehen ist ein Genuss.

Doch die Stimme, die mich ruft,

fühle ich viel tiefer in mir.

 

Die Kraft, die mich vorantreibt,

die Macht, die mich anlockt,

auch ich kann sie mir nicht erklären.

Dies kann allein nur Er dort oben!

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Kommentare: 3
  • #1

    Mama Ingrid (Mittwoch, 22 Mai 2013 23:07)

    Oje, arme Veronika! Das ist ja nicht nur umstädlich, sondern auch zeitaufwändig und teuer. Und das alles nur, um dann doch den anderen beim Pilgern zusehen zu müssen. Mh.
    Tolles Gedicht! Ja, Pilger, wer oder was hat EUCH gerufen?
    Übrigens: Gibts Annis "Stöckchen" noch?

  • #2

    Reinhard aus Bochum (Mittwoch, 22 Mai 2013 23:15)

    Hallo ihr drei,

    Gott sei Dank - ihr schreibt wieder. Hatte mir schon Sorgen gemacht. Wünsche euch für die nächsten Tage besseres Wetter - keinen Regen, Sonne und angenehme Temperaturen.

    Bis demnächst und guten Weg

    Reinhard

  • #3

    Dani (Donnerstag, 23 Mai 2013 13:37)

    Der unschlagbare Wagnersche Augenaufschlag. Immer wieder gern angewendet.