Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Lass uns mal zelten!

Von Frómista nach Carrión de los Condes, 22 km

"Heute ist Zelten angesagt, alter Mann!" Anni weist nochmal energisch darauf hin, was seit einigen Tagen so geplant ist. Mir war heute Nacht unter meiner Decke in unserem beheizten Zimmer nicht zu warm und ich freue mich auf die Erfahrung in der kommenden Nacht. Der Einblick in die Wettervorhersage von www.wetter.com sagt 0° C voraus und meine Vorfreude steigt. Ein Blick aus dem Fenster unserer Unterkunft lässt für heute sonniges Wetter erhoffen, denn der Himmel ist größtenteils blau. Also Hosenbeine abgezippt und den Anorak auf dem Wheely festgeschnallt, wenn wir gleich stramm gehen, wird uns bald warm!

 

Von wegen! Als wir leicht geschürzt nach draußen treten, können wir gar nicht so schnell zittern wie wir frieren. Wir gehen trotzdem los. Ich freue mich auf heute Nacht, endlich mal wieder zelten! Durch die Straßen von Frómista suche ich mir die sonnenbeschienene Seite aus, vielleicht kann ich ja für die Nacht Wärme vortanken. Dafür erweist sich aber meine heutige Bekleidung als absoluter Fehlgriff. Daran aber kurzfristig etwas zu ändern, kommt auch nicht in Frage. Vielleicht bei der ersten Pause.

 

Nach Frómista komme ich mir Ende Mai bald so vor wie Ende Februar in der Eifel. Was das Wetter anbetrifft. Der Wind ist biestig kalt und er bläst so kräftig, dass ich mir meinen Ohrenschutz aufsetze und den Hut noch darüber ziehe. Landschaftsmäßig ist es das Gegenteil: keine bewaldeten Berge, sondern absolut flaches Land, kein Wanderweg, der sich über Berg und Tal schlängelt, sondern eine Schotterpiste, die sich kilometerlang an einer viel befahrenen Straße entlangzieht. Der Wind kommt, wie immer, wenn man es nicht gebrauchen kann, voll von vorn, drückt einen fast zurück oder beutelt hin und her. Wir versuchen, dagegen anzurennen, überholen einen vor uns laufenden Pilger nach dem anderen - aber warm wird uns nicht. Aber heute Abend und heute Nacht können wir uns im Zelt ja ausruhen.

 

Was wir im Moment berennen, ist die sog. "Pilgerautobahn". Es handelt sich um einen speziell für Pilger angelegten Weg, der hier errichtet wurde, nachdem es früher zu einigen tödlichen Unfällen gekommen war. Der historische Jakobsweg wurde über die Jahrhunderte hinweg immer besser ausgebaut und endete dann schließlich als Straße. Seit dann später die Fußpilgerreise wiederbelebt wurde, stellt sich eben dieses Problem.

 

Auf der "Pilgerautobahn" laufen sie alle dahin: die Munteren, die Sich-Schleppenden, die Fußkranken, die Meditierenden und die Sich-Quälenden. Als wir vorbeiziehen, fängt heute kaum jemand ein Gespräch mit uns an. Jeder ist mit sich beschäftigt, stiert auf den Weg und schnauft.

 

Hinter Población de Campos biegen wir auf eine empfohlene Nebenstrecke ein, weg von der Straße und rein in die Felder. Eine grundsätzlich richtige Entscheidung, aber der starke, eisige Wind bleibt. Dafür sind hier nicht so viele Pilger unterwegs, sie datschen weiter an der Straße enlang. Links, rechts, links, rechts, links ...

 

In Villamentero machen wir erste Rast an einer etwas abgewrackten Bar an einem Sportfeld. Der Wirt holt gerade die Tische und Stühle raus, drinnen ist kein Platz zum Sitzen. Wir rücken uns alles selbst in die Sonne, denn wo es etwas windgeschützt ist und die Sonne hinreicht, kann man es, so gerade, aushalten. Und schließlich wollen wir uns ja nicht so anstellen, denn heute Nacht geht es ins Zelt.

 

Von der Bar an geht es auf der Nebenstrecke weiter bis Villalcázar de Sirga. Wir folgen einem kleinen Bach, der sich unterhalb des Weges schlängelt. Schilf steht an seinen Ufern, in dem sich offenbar viele Vögel und Frösche tummeln, denn ihre Begleitmusik zu unseren Schritten ist beträchtlich. Links und rechts vom Fluß stehen die Rapsfelder in vollem Gelb und die wogenden Getreidefelder erinnern an das plüschige Fell eines Bären, in das der Wind pustet. Mmh, es müsste dann wohl ein grüner Bär sein ..., aber ..., na ja.

 

In Villalcázar sehen wir wieder bekannte Gesichter. Die allermeisten sind die "Pilgerautobahn" entlang getigert. Viele wissen gar nicht , dass es die schönere Nebenstrecke gibt. Ja Kinder, wie bereitet ihr euch denn auf solch eine Unternehmung vor? Nochmal erholen wir Drei uns von dem permanenten Windangriff auf der windgeschützten Bank vor der Gemeindeherberge. Wir knabbern Kekse und Anni arbeitet sie direkt an einigen Trimmdich-Geräten wieder ab. Viele Pilger bleiben in den Herbergen des Ortes, Anni und ich gehen weiter. Schließlich wartet in Carrión de los Condes der Campingplatz auf uns. Und ich freu mich schon drauf! Ich bin doch sooo gespannt, wie ich eisige Kälte im Zelt noch so aushalte.

 

Bis nach Carrión de los Condes lässt sich die "Pilgerautobahn" nicht vermeiden. Wir stürmen sie entlang, überholen wieder und wieder, aber der Wind lässt nicht nach. Wir laufen nach Carrión hinein, sehen das Schild "Camping", folgen ihm und sehen bald einen kleinen Wald. Prima, dann sind wir mit unserem Zelt wenigstens windgeschützt. 0° C werden uns schon nicht umbringen! Als wir das Tor zum Campingplatz sehen, fallen mir dort die dicke Kette und das Schloss auf. Der Platz ist geschlossen!

 

Und jetzt? Campingplatz geschlossen und nichts anderes reserviert, das kann ja heiter werden ...! Eine alte Frau kommt auf uns zu, zeigt uns, wo wir eventuell wild campen könnten. Au ja, wild campen ist doch noch besser! Keine Toiletten, kein Wasser, eine "Grünfläche" mit Hundetretminen - genau das brauche ich jetzt. Aus dem Augenwinkel schaue ich zu Anni. Die ist von der ganzen Situation auch nicht sehr begeistert. Schließlich kommt ihr Griff zum Miam-Miam-Do-Do, unserer Unterkunftsbibel. Schnell wird sie fündig und telefoniert. Bitte, alter Mann dort oben, lass mich jetzt nicht im Stich! "Casa Tía Paula" hat tatsächlich noch ein Appartment für uns!

 

Schaaaade, jetzt wird es heute Nacht doch nichts mit dem Zelten. Ich hatte mich doch so darauf gefreut ...!

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Monika (Donnerstag, 30 Mai 2013 13:12)

    Armer Reinhard! Wo du dich doch schon seit Monaten auf's Zelten freust! Aber keine Sorge, irgendwann schafft Annika es doch noch, dich ins Zelt zu bekommen.
    Die Temperaturen müssten dir doch entgegenkommen - du hasst doch Wärme, wenn ich mich recht erinnere.
    Ich wünsche euch - und uns ebenfalls!- ein bisschen mehr Sonne und viel Courage für den Endspurt!

  • #2

    Christof (Donnerstag, 30 Mai 2013 17:40)

    Bin ja gespannt, ob ihr noch zum Zelten kommt ;) Ward ihr schon an dem Brunnen, aus dem Wein strömt?

    Viele Grüße aus Franken,

    Christof

  • #3

    Mama Ingrid (Freitag, 31 Mai 2013 01:02)

    Echt ey, so ein Pech! Kein Zelten!
    God save "mjam mjam dodo! :-)

  • #4

    Dani (Freitag, 31 Mai 2013 12:56)

    Also ich wette der alte Mann wird das Zelt nicht ein Mal benutzen.