Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Verliebter alter Mann!

Von Mansilla de las Mulas nach León, 18 km

Auch die zweite Nacht in der Apsis unseres Zeltes hat Sira super überstanden. Selbst die zwei kläffenden Hunde und die sehr gesprächigen Truthähne aus der Nachbarschaft konnten sie nicht aufregen. Sie wird zum Profi.

Mein Wecker steht heute auf "Extraspät". Wir haben nur 18 km bis Leon vor uns. Und auch die möchte ich mit Sira so entspannt wie möglich verbringen. Also wollen wir später los als alle anderen. Mein Wecker steht auf 6.45 Uhr. Dummerweise steht meine innere Uhr wie immer auf sechs. Eine Dreiviertelstunde liege ich wach und warte auf den Wecker. Papas Tag geht schon wieder gut los: man hat uns mal wieder ausgesperrt. Wir kommen also nicht zur Toilette. Das Wasser vom Außenbecken ist auch abgedreht. Wir müssen also warten, bis man so freundlich ist, uns aufzuschließen. Ja, wir sind wohl Pilger zweiter Klasse mit unserem Zelt...

Um halb sieben ist es dann aber soweit und wir dürfen rein. Die meisten Pilger sitzen gestiefelt und gespornt am Tisch und schieben sich das dürftige Frühstück in den Mund. Danach stürmen sie los, auf zur Herbergsbettenjagd!

Während wir noch in aller Ruhe unser Zelt einpacken, rückt schon die erste Pilgerstaffel aus Reliegos ein, die bereits ihre ersten sechs Kilometer hinter sich hat und jetzt zum Frühstück hier einkehrt. Papa fühlt sich fast schlecht. Ich mich nicht. Hier geht schließlich jeder seinen eigenen Camino.

Mansilla verlassen wir wieder mal allein. Die Rechnung ging auf, wir sind spät genug dran. Die nächsten sechs Kilometer laufen wir über eine Piste neben der stark befahrenen Landstraße.

Im Gegensatz zu den letzten zwei Tagen ist der heutige keine Erleuchtung. Autos, Autos, Autos. Man hört sie, man sieht sie, man riecht sie und kriegt eigentlich nichts anderes mehr mit. Heute würd ´ ich sagen: "Das Ziel ist der Weg!", nicht umgekehrt. Das Wissen um kommende schönere Tage und das Ziel León schicken uns voran. Der Automatikmodus wird eingeschaltet und alles ist erträglich.

Die Sonne brennt hier etwas unerbittlicher als auf den leichten Anhöhen gestern. Es ist wärmer, trotzdem kommt man aber nicht ins Schwitzen. Für Papa reicht es dann aber doch endlich auch mal zu einem Sonnenbrand an den Oberarmen. Er leugnet ihn zwar standhaft, aber da ist jeder Selbstbetrug zwecklos.

Sira kriegt weiterhin ihre Schatten- und Wässerungs-Zwangspausen verordnet.

Auf weiteren Schotterpisten, mal näher, mal entfernter der Bundesstraße N-601, erreichen wir Arcahueja, wo wir uns zur Pause in der Bar-Albergue "La Torre" niederlassen. Papa hat inzwischen Gefallen gefunden an Bocadillo con Tortilla, einem Baguette, in das ein Eier-Kartoffel-Omelette gebettet wird. Mehrere Pausen hat er sich damit jetzt schon versüßt. Ich bin nur froh, dass sein Magen das inzwischen wieder problemlos mitmacht.

Während wir dort so rasten, nähert sich uns ein Hund, der im Gesamten so hässlich ist, dass er fast schon Kultstatus verdient hat: Ich denke, er ist ein Bassett Hound, mit kurzen und irgendwie verwucherten Beinen, einem ungeheuer massigen Körper, und blutunterlaufenen Triefaugen. Man hat das Gefühl, der Arme ist ein extremes Opfer der Schwerkraft. Alles hängt! Die Ohren gehen bis zum Boden, sein Gemächt ist beachtlich für seine Größe und dem Boden auch immer gefährlich nahe, sein dickes Doppelkinn hängt runter und seine überdimensionalen Lefzen produzieren soviel Sabber, dass er gar nicht anders kann als alles zu besudeln. Wenn er sich schüttelt, wabert seine gesamte faltige Masse hin und her und sein Sabber legt sich in Fäden rund um seine ganze Schnauze. Sehr dekorativ. Ich höre fast die Begleitmusik und sehe die Zeitlupe, wie bei einer hübschen Frau im Shampoo-Werbespot. Nur dass "Otto" (kann ein Name passender sein?) leider so gar keine hübsche Frau ist! Dafür aber unsterblich in Sira verliebt. Er tänzelt mit seinen krummen Stampfern um sie herum. Wenn sie dann aber spielen will, gibt er gleich wieder auf. Dafür ist er nun wirklich zu alt! Wenn sie seinen Balztanz mal wieder mit einer Spielaufforderung zerschlagen hat, ist er so entrüstet, dass er mich verzweifelt ansieht und hohe Bell-Heul-Gesänge von sich gibt. Ich könnte mich totlachen über den liebeskranken kleinen Kerl. Tu ich auch. Mit Papa zusammen stelle ich mir vor, ob er wohl dialektfrei spricht oder zum Beispiel mit einem tiefen Bayrisch oder Sächsisch. Als wir ihm schon Worte in den Mund legen, reicht es ihm und er zieht davon.

Kurz darauf reicht es auch uns und wir beenden die Pause. Als wir den Ortsausgang von Arcahueja erreicht haben, biegt Siras Verehrer plötzlich erneut um die Ecke. Wo wir doch erst noch dachten, der alte Mann könne keine fünf Meter mehr schmerzfrei laufen, galloppiert er uns jetzt hinterher als wäre das seine letzte Chance auf Liebe im Alter.

Ich brauche keinen neuen Harley, der uns, wie unser damaliger Freund in Ormont in der Schneeeifel, die nächsten zwölf Kilometer hinterherläuft. Zumal unseren aktuellen Freund dann vermutlich irgendwann die Altersschwäche ereilen würde. Und das muss ich nun wirklich nicht mitansehen! Also verscheuche ich unseren Freund , er trollt sich und wir ziehen zu dritt von dannen.

Bald überqueren wir die Bundesstraße und können nach einem Hügel das beachtlich große León vor uns sehen. Durch wenig kleidsame Industriegebiete und Vorstadtorte gelangen wir ins Zentrum. 

Während ich hier schreibe, widmet sich Papa dem Sightseeing. Danach bin ich dran. Um Sira den Großstadttrubel zu ersparen, sitten wir abwechselnd.

Vielleicht gönne ich mir gleich in der Stadt noch eine Shorts, die mir wirklich passt. Irgendwie wachse ich langsam aus allem raus....

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Montag, 03 Juni 2013 23:22)

    Recht hast du, Anni: Jeder geht SEINEN EIGENEN Camino, und weder mit Zelt noch mit Hund seid ihr Pilger zweiter Klasse! Spätestens wenn euer Film raus ist, werden das alle kapiert haben.
    Uiuiui, eine schlanke Gazelle kehrt zurück! Erkennen wir dich überhaupt noch wieder?
    Was sich Sira wohl über den alten, sabbernden Verehrer gedacht hat?
    Bei der Überschrift hab ich übrigens gedacht, du redest von Papa ;-)

  • #2

    Dani (Dienstag, 04 Juni 2013 14:26)

    Du meinst du schrumpfst aus allem raus.