Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Kleine Gesten

Von Villar de Mazarife nach Villares de Orbigo, 18 km

Siras aufgeregtes Gebell und ein gefährliches Rütteln am Zelt reißen mich aus dem Schlaf. Ich befürchte, es ist mal wieder die Katze... Außerdem bin ich mir sicher, dass der Hund in dem Fall nicht besonders viel Rücksicht nehmen wird auf das Zelt, das um ihn herum steht.

Das kann ich ja gebrauchen! Da fängt mein Tag gleich schön mit Kopfschmerzen an. Und die vergehen auch nicht so schnell.

Ich schieße aus dem Zelt und betreibe Schadensbegrenzung. Das Zelt ist zum Glück heil geblieben, der Hund ist aber völlig aus dem Häuschen. Ich bin schon wieder völlig angenervt und die blöde Katze sitzt exakt einen Meter von Siras Leinenreichweite entfernt, maunzt und guckt blöd bis provokativ. So langsam entwickle ich eine ernst zu nehmende Antipathie gegen diese zänkischen Kratzbürsten! Ich verscheuche den Störenfried, der Hund kommt langsam runter und leicht bis mittelschwer verstimmt starte ich in den Tag. Papa hält sich mit Kommentaren dezent und weise zurück. Dafür danke ich ihm im Stillen.

Besonders hilfreich sind an solchen Tagen Leute, die einem mit Rat und ohne Tat zur Seite stehen. Auf gut deutsch: Es werden kluge Sprüche und Ratschläge verteilt, die mir nicht im geringsten helfen. Als einer unserer Mitpilger, der sich schon gestern für keine Weisheit zu schade war, Papa rät, wir sollten uns doch auf sixx den amerikanischen Hundeflüsterer ansehen, da der doch wüsste, wie man mit "solchen Problemhunden" umginge und das bei ihm und seinem Hund auch so gut geklappt hätte, springe ich ihm fast durch das Zelt an den Hals. Da Gewalt und Kraftausdrücke keine Lösung sind, reagiere ich mich an der Luftmatratze ab, aus der ich gerade die Luft herauslasse.

Wir verlassen Villar de Mazarife spät, aber nicht als die Letzten. Die Luft hat sich schon gut aufgeheizt (oder besser gesagt: gar nicht richtig abgekühlt). In Top und Shorts friere ich selbst zu Beginn der Tagesetappe nicht.

Heute haben wir nicht das Glück der letzten Tage. Vor uns sehen wir quasi durchgehend Pilger. Richtig entspannt laufen wir also nicht, es gab aber auch schon weitaus unentspanntere Tage.

Auf einer Bank im Schatten vor Villavente legen wir unsere Pause ein und Papa organisiert uns für die nächsten Tage Schlafplätze.

Als wir über Schotterpisten weiterlaufen nach Hospital de Orbigo hängt Siras Zunge bereits bis zum Boden. Wenn allerdings ein paar Meter vor uns eine Eidechse oder irgendein anderes Lebewesen den Weg kreuzen, ist ihr jede Hitze egal. Sie sprintet voran, ich flieg hinterher, das Krabbeltier huscht ins Gebüsch und Sira schnuppert dem Ganzen noch eine Weile nach, bis sie schließlich aufgibt.

Als wir aber in Hospital de Orbigo die historische Duellbrücke überqueren, hab ich kaum einen Blick für ihre Historie oder ihre Schönheit. Schatten muss her!

Wir gönnen uns allen eine Pause in einer gemütlichen Bar. Sie liegt in einer Seitenstraße, deswegen verirren sich wohl nicht viele Pilger hierher. Außer uns sitzen hier nur Einwohner, größtenteils Rentnerinnen. Auch mal schön, eine Pause zu machen, in der nicht jeder das Pilgermaskottchen tätschelt oder uns auf englisch oder deutsch anquatscht. Hier sind wir einfach nur Sonderlinge, die man kritisch beäugt und ansonsten in Ruhe lässt.

Die letzten drei Kilometer über flache Schotterpiste sind schnell gelaufen und wir erreichen unser Etappenziel, die Albergue Villares de Orbigo. Bei der telefonischen Reservierung sagte man uns, dass der Hund zwar nicht ins Zimmer dürfe, sich aber mit Sicherheit eine Lösung finden ließe, zur Not auf der Dorfwiese hinterm Haus im Zelt. Wir sind zuversichtlich. Kein Wunder. Nach der letzten katzenverseuchten Nacht kann es nur besser werden.

Wir betreten den Eingangsbereich der privaten Herberge und werden gleich von Pablo und Belén, selbst ehemalige Pilger und auch noch Großhundehalter, per Handschlag begrüßt. Bevor irgendetwas anderes geregelt wird, stellt Pablo Sira einen Topf mit Wasser hin, das sie sich gut schmecken lässt. Die beiden stellen die Diagnose: "This is a good dog!" Ja, da sind wir uns einig! Sie zeigen uns das für uns vorgesehene Zimmer. Es liegt direkt am Innenhof, mit eigenem Bad, zehn Euro pro Person, und die kleine Gemeinschaftsküche liegt direkt nebenan. Sira darf zwar nicht ins Zimmer, sie darf aber direkt vor der Tür am Schirmständer festgemacht liegen, die Tür dürfen wir offen lassen - also fast wie im Zelt. Unser Zimmer ist mit Bedacht das Hundepilgerzimmer. Davor ist der meiste Schatten, außerdem liegt das Zimmer etwas ausgelagert. Damit stören wir die anderen nicht und Sira kann sich in die Ecke zurückziehen, bekommt aber trotzdem alles mit, was sie will. Sahnehäubchen: Pablo garantiert uns Katzenfreiheit. Er kennt das Problem mit den guten Samtpfoten von seinem Hund und versteht mich nur zu gut.

Sira hat wohl auch verstanden, dass man es gut mit ihr meint. Sie fügt sich problemlos und gibt keinen Mucks an ihrer kurzen Leine von sich. Sie legt sich auf die Fußmatte vor unsere Tür und freut sich einfach, dass sie schlafen kann, ohne alle zehn Minuten durch ein Maunzen aufzuschrecken.

Als wir alle die nachmittägliche Ruhe genießen, beginnt mein Kopf schmerzhaft zu pochen. Aus dem Pochen wird ein Hämmern und ein übles Hacken. Meine Augen brennen, meine Nase läuft, ich fange an zu frieren. Ich schmeiße zwei Aspirin ein, Papa kocht unsere allzeit bewährte Nudelsuppe. Wir sparen uns mal wieder das Pilgermenü, obwohl ich es hier, in dieser freundlichen, warmen Atmosphäre fast bereue. Als ich dem aufgetischten Nachtisch sehnsüchtig nachblicke, sagt Pablo: "Keine Sorge, ich hab Euch zwei in die Küche gestellt." Und zack! - hat er mir den Tag versüßt! Es gibt Gesten, die sind einfach unbezahlbar. Die Strapazen der letzten 24 Stunden werden dadurch ganz entscheidend abgemildert.

Vielleicht liegt es an der Suppe und der Aspirin, vielleicht aber auch ein bisschen an der herzlichen Umsorgung durch Belén und Pablo, aber der Kopfschmerz lässt nach und wärmer wird mir auch.

Und Sira, die freundlich und friedlich vor unserem Zimmer liegt, lässt es mir doch noch ein bisschen wärmer ums Herz werden. Manchmal kommt eben alles zur rechten Zeit.

Seit heute sind die Flachlandetappen vorbei. Ab morgen geht es ins Gebirge. Auf zum Cruz de Ferro. Die letzten dreihundert Kilometer bis nach Santiago stehen an. Auf zum letzten Zehntel!

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Mittwoch, 05 Juni 2013 23:45)

    Hihi, Klugscheißer und Besserwisser gibt es überall, natürlich auch auf einem Pilgerweg. Gibt es eigentlich auch Menschenflüsterer?
    Auch wenn ich verstehen kann, dass ihr manchmal genervt seid, muss ich als Katzenfan nun doch mal zu bedenken geben, dass Hunde wie Katzen ihre Daseinsberechtigung haben. Also bitte etwas mehr Toleranz bei den Pilgern. Nicht dass das hier noch in Katzenhetze ausartet!
    Freut euch, dass es noch nicht so ganz heiß ist wie normalerweise in dieser Gegend. Bei uns ist es momentan übrigens auch schön warm, konnte heute im T-Shirt zur Schule :-)
    Okay, auf zum Endspurt! Die letzten 300 Kilometer sind doch nur noch ein Klacks für euch. Genießt sie!
    Bessos

  • #2

    Dani (Donnerstag, 06 Juni 2013 13:11)

    Geil!! Endspurt. Wir sind stolz auf euch. Weiter so...!!!