Die Nächte im Zelt gewinnen immer mehr an Gemütlichkeit. Die Zeit des Frierens im Schlafsack scheint vorbei zu sein. Ganz im Gegenteil! Manchmal wird es mir sogar zu warm und ich lege mich oben
drauf. Ich brauche jetzt nur noch jemanden, der in der Zeit, wo Anni und ich frühstücken, das Zelt abbaut, trockenbläst und alles wieder verstaut.
Um 7 Uhr ist Frühstück. Wie schon gestern Abend beim Abendessen nehmen wir beide es draußen auf der Terrasse ein. Um uns tirilieren die Vögel und Sira und Ollie liegen zu unseren Füßen. Schon
heute früh morgens haben die zwei Vierbeiner sich auf unserem kleinen Zeltplatz hinter der Herberge begeistert und schwanzwedelnd begrüßt. Pilgerhunde müssen eben zusammenhalten. Gemeinsam
verscheuchen sie sogar während des Frühstücks herumstreunende Hunde und fühlen sich großartig.
Der Abschied von der netten Hospitalera ist herzlich, auch von den anderen Pilgern, die nach uns die schöne Herberge verlassen werden. Einige, unter ihnen Ricarda und die Japanerin Keiko, sind
schon lange weg. Andere, u.a. Adriana und ihr Ollie lassen sich noch mehr Zeit als wir, und das will schon etwas heißen. Anni und sie verabreden sich aber in Villafranca del Bierzo, um sich dort
in einem Supermarkt gemeinsam einen Vier-Kilo-Sack Hundefutter zu kaufen. Großer Sack ist in Relation gesehen billiger als kleiner Sack, also trifft man Vereinbarungen. Lebenspraktische
Mädels!
Recht bald hinter Pieros, auf dem Weg durch die Weinberge, laufen Elli und Holger zu uns auf, ein deutsches Ehepaar, das erst in Ponferrada mit dem Weg begonnen hat. Als sie unsere Höhe erreicht
haben, drosseln sie ihr Tempo. "Ist es schwer, mit dem Hund zu laufen? Gibt es Probleme? Wir haben unsere Hunde das erste Mal zu Hause gelassen". Schon einige Male haben wir mit Pilgern hierüber
gesprochen. Ist es wirklich ein Riesenproblem, sich mit einem Hund auf den Camino zu begeben? Wir sagen ihnen immer, dass es nicht einfach ist.Dass es ein anderer Camino ist, wenn man ihn ohne
einen Hund macht. Aber ein Camino mit Hund ist allemal ein schöner Camino und wir raten jedem, der sich mit dem Gedanken trägt, seinen Hund mit auf den Weg zu nehmen, dies auch zu tun. Gewisse
Voraussetzungen sollten aber gegeben sein: Nicht zu alt sollte der Hund sein, gut vorbereitet, kein Beller, möglichst ein Allesfresser und ein Menschenfreund. Auch nicht gerade ein zu kleines
Exemplar, denn je kürzer die Beine, umso mehr Leistung wird ihm abverlangt. Ein wirkliches Problem ist die Unterkunftsfrage, das sich aber lösen lässt. Kirchliche oder Gemeindeherbergen nehmen,
bis auf sehr geringe Ausnahmen, keine Pilger mit Hund auf. Private Herbergen schon eher, Hostals, Pensionen oder kleine Hotels oft. Also muss man mit einem doch etwas erhöhten Reisebudget
rechnen. Die Gerüchte, die mancherorts verbreitet werden, die Spanier seien Hundehasser - alles Quatsch! Es gibt nicht nur die angeketteten Hofbewacher, sondern auch die Streichelhunde, die durch
den Park spazieren und abends und morgens Gassi geführt werden. Die Spanier treten Sira freundlicher entgegen als die meisten Deutschen. Die Horrorgeschichten der gefährlichen Straßenhunde
sollten sowieso ins Reich der Legenden verbannt werden. Wir haben keine Unterschiede zu Deutschland erlebt. Wer also einen Hund hat und den Camino gehen möchte, sollte sich diese tolle Erfahrung
gönnen.
Zusammen mit Elli und Holger, denen wir vielleicht etwas Mut machen konnten, selbst einmal ihre Hunde mit auf den Camino zu nehmen, kommen wir nach Villafranca del Bierzo, dem "kleinen
Compostella". Schon hier wurde im Mittelalter den Pilgern der Ablass von ihren Sünden gewährt, wenn sie auf dem Weg erkrankt waren und die Pilgerreise nicht fortsetzen konnten. Die
Santiagokirche, direkt am Ortsanfang, machte es seinerzeit möglich. Wer durch die große Seitenpforte schritt, dem war vergeben. Für viele wurde es wohl auch höchste Zeit. Neben der Kirche wurden
bei Ausgrabungen die Überreste einer Menge Pilger gefunden.
Auf der Plaza von Villafranca rasten wir kurz in der Sonne, dann kommt auch schon Adriana mit Ollie sowie ihrem gesamten "Gefolge". Gefolge bedeutet, in ihrem Schlepptau befinden sich fünf
weitere Pilger unterschiedlicher Nationalität, die zunächst jeder für sich alleine auf dem Weg waren, sich dann aber im Verlauf des Weges irgendwann irgendwo getroffen haben und zusammengeblieben
sind. Grundsätzlich eine schöne Sache, aber manchmal ist mir sowas auch etwas suspekt. Wenn man gar nicht mehr aufhören kann, sich als "eine große Familie" zu bezeichnen, wenn man sich bei jeder
Gelegenheit in den Armen liegt, ja abküsst, dann ... Bekommt man dann noch die Kurve, wenn man doch mal alleine für sich oder sogar mal einen ganzen Tag alleine gehen möchte? Fühlt man sich dann
nicht als ein Verräter an dieser Art von "verschworener Gemeinschaft"? Will man diesen Gruppenzwang über Wochen wirklich?
Anni kauft mit Adriana wie vereinbart im nächsten geeigneten Laden einen 4-Kilo-Sack Futter und beide teilen schwesterlich. Dann ziehen Anni, Sira und ich weiter, die "Familie" zieht sich zum
Kaffeetrinken in eine Bar zurück.
Als wir Villafranca verlassen, haben wir zwei sehr unterschiedliche Möglichkeiten, nach Trabadelo zu gelangen. Der reguläre Weg wurde schon vom Pilger der Nation, Hape Kerkeling, als nervig und
gefährlich beschrieben, lief er doch eng an einer vielbefahrenen Straße vorbei. Auch wenn diese Strecke inzwischen entschärft ist, so hält sich unsere Begeisterung für diesen eher zumindest doch
langweiligen Streckenabschnitt in Grenzen. Wir entscheiden uns für den Camino Duro, den harten Weg, der nur geübten "Caminonistas" empfohlen wird. Wenn WIR nicht unter die Rubrik "geübt" fallen,
dann weiß ich es nicht.
Es geht steil bergauf. Es geht sehr steinig steil bergauf. Wir kommen ins Schwitzen, zumal die Sonne ihren guten Teil dazu beiträgt. Schatten ist eher selten, dafür die Aussicht auf die Bergwelt
herrlich. Wenn einmal ein Baum etwas Schatten liefert, halten wir an, um Sira mit Wasser zu versorgen, uns auch. Die Wasservorräte schwinden dramatisch. Jetzt rächt es sich, dass wir versäumt
haben, in Villafranca nachzutanken. Folge: Wir müssen einen Umweg über ein kleines Dorf etwas abseits des Camino Duro machen, um uns dort mit Wasser zu versorgen. Kein Beinbruch, wir verbinden es
mit einer Rast bei der örtlichen kleinen Bar. Kleines Dorf bedeutet aber auch wiederholten Katzenalarm. Richtig erholsam wird für Anni die Rast nicht.
Den Rest des heutigen Weges geht es abwärts. Erst gemäßigt, dann äußerst knieunfreundlich. Aber unser mittlerweile fast viermonatiger Dauerbelastungsselbstversuch lässt uns das auch mit
Gelassenheit ertragen.
In unserem preiswerten Wohlfühl-Appartment in einer Casa rural steht die Belohnung für uns bereit: eine große Schüssel frisch gepflückter Kirschen.
Kommentar schreiben
Mama Ingrid (Dienstag, 11 Juni 2013 23:54)
Jeder Pilger geht eben seinen eigenen Weg! Mancher möchte Abgeschiedenheit, mancher braucht Gesellschaft.
Dass ihr mal wieder den "harten Weg" gewählt habt, war ja klar...