Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Immer weiter hinauf!

Von Trabadelo nach Laguna de Castilla, 18 km

Der Wecker steht auf halb sechs. Bis um sechs drücke ich ihn im Fünf-Minuten-Takt weiter. Es war spät, als ich abends das Licht ausgemacht habe, deswegen komme ich heute schlecht aus dem Bett.

Ich weigere mich, die Wolken am Himmel zu akzeptieren. Mit einer Handvoll Zuversicht creme ich mich mit Sonnencreme ein. An dieser Stelle sei gesagt, dass ich es auch nach vier Monaten Pilgern immer noch schaffe, mich morgens völlig falsch auf das Wetter des Tages vorzubereiten. Wenn es regnet oder zumindest wolkig ist, benutze ich Sonnencreme, bei strahlender Sonne liegt sie ganz unten im Rucksack und ich schwitze mich im Fleece und langer Hose kaputt. Wenn es kalt und windig ist, trage ich das kürzeste Höschen und erfriere fast. Das kann doch wohl nicht wahr sein!

Papa wundert sich, als ich frisch eingecremt und in Shorts vor ihm stehe (gestern war mir wirklich zu warm!), während er sich seine Hosenbeine anzippt. Bevor wir losgehen gebe ich auf und tausche kurze gegen lange Hose. Und tatsächlich wird mir nicht zu warm. Juhu, wenigstens einmal (wenn auch nur mit Verspätung) richtig gekleidet.

Die ersten zehn Kilometer des heutigen Tages steigen wir nun stetig leicht bergan, bevor es richtig zur Sache geht. Zweieinhalb Kilometer lang laufen wir auf einem Streifen neben der Landstraße, immer wieder den Fluss kreuzend und mit der Autobahn stets über unseren Köpfen.

Als wir die Landstraße verlassen können, kleckert es sich von da an von Dörfchen zu Dörfchen. Das ist gut, das ist wie kleine Teilziele, die man immer wieder abhaken kann, während man sich Meter für Meter hochschraubt.

Schon im ersten Dorf merken wir: Die Katzen sind heute besonders gut drauf. Sie sitzen da, räkeln sich auf der Straße, belecken sich und verschwenden keinen Gedanken daran, sich in Sicherheit zu bringen. Das geht den Rest des Tages so.

Gleich im ersten Dorf, in Portela, kommt es zu einer weiteren spannenden Begegnung: Ein Schäferhund kreuzt unseren Weg. Schon auf den ersten Blick sehe ich, dass dieses freilaufende, nicht besonders große und vermutlich junge Rüdenexemplar freundlich gesinnt ist. Als er allerdings schwanzwedelnd auf uns zugerannt kommt, schlägt mein Herz trotzdem bis zum Hals. Egal, das müssen wir jetzt aussitzen. Ich bitte Papa, stehenzubleiben, während Sira und ich unserer größten Angst ins Auge blicken. Immer wieder lobe ich sie, wenn sie ihn wieder einen Schritt näher an sich ran lässt. Nach guten fünf Minuten hat sie es geschafft. Sie dürfen sich beschnuppern, jetzt geht es nur noch ums  Spielen. Kurze Zeit später verlassen wir beflügelt den Ort des Geschehens. Wir haben es geschafft! Ich bin stolz auf uns!

Glücklich laufen wir weiter, immer im Pilgerstrom der Straße nach, durch Ambasmetas, Vega de Valcarce, Ruitelán und Herrerías, bevor es dann ab Hospital endgültig steil wird. Allerdings verläuft die Steigung die ersten zweieinhalb Kilometer noch auf der Teerstraße, sodass Papa nicht besonders viel Mühe hat. Als wir dann aber auf einen Feldweg nach links abzweigen, sind wir erstmal beleidigt. Wieso geht es denn hier jetzt auf einmal steil und steinig bergab? Nur um das dann nachher auch noch wieder alles raufklettern zu müssen? Aber wir haben keine Wahl.

  Bald wird der Pfad steinig, felsig und steil. Papa bekommt Sira umgeschnallt und den Stock in die Hand gedrückt und ich schiebe von hinten unser Vehikel. Gemeinsam sind wir stark! Zusammen schaffen wir es tatsächlich bis ins Dorf La Faba.

Zeit für eine Pause! Wir sparen uns das Café, suchen uns einfach nur eine Bank. Gleich neben der einzigen Sitzgelegenheit stehen vor einem urig aussehenden Haus auf einem Tisch Thermoskannen mit Kaffee und Tee. Ein junger Mann mit vereinzelten Dreadlocks und einer sonst sehr wilden Frisur ruft: "Hier könnt ihr Euch gerne was nehmen!" Der Tee hat einen eigenartig würzigen Geschmack. Sira hat die Hunde des Hauses schon längst abgecheckt und jeder liegt in seiner Ecke und schläft. Das Haus, vor dem wir hier sitzen, ist die nicht so ganz legale Donativo-Herberge vom deutschen Auswanderer Marcel. Er selbst ist gerade nicht da, aber die Jungs hier machen ihren Vertretungsjob gut. Schon der erste Blick in die urgemütliche Wohnstube macht klar: Auch das hier ist einer dieser unglaublich kraftvollen Plätze, wie wir sie in der letzten Woche schon öfter erleben durften. Es riecht nach den Kräutern aus ihrem Garten, mit denen sie den Tee aufbrühen, in der Mitte des Raumes thront ein riesiger Mühlstein, daneben ein Bett, es ist dunkel, irgendwie eng und körmelig, aber urgemütlich.

Der Schlafraum für die Pilger ist ähnlich rustikal. Uralter dunkler Holzboden, an einer Raumseite eine steinerne Sitzbank, auf der anderen Seite zwei einfache Betten, darüber vier weitere, an dicken Eisenketten an der Decke hängend. Über eine Leiter gelangt man am Ende des Raumes in das "Badezimmer", ein abgetrennter Bereich, der aussieht wie eine eingelegte Schachtel, mit einem dieser Klos, die man noch oft in Frankreich sieht: Loch im Boden, Trittsteine, das war's. Bo ey, hier ist schlafen eben echt noch Adventure. Aber eben auch alles auf Spendenbasis und mit ganz besonderer Atmosphäre. Und auf jeden Fall was anderes als die langweiligen Pilgerherbergen.

Nach der Besichtigung ziehen wir weiter. Die letzten zwei steilen Kilometer bis zu unserer Unterkunft in Laguna de Castilla stehen bevor.

  Nach einigem Kraxeln sehen wir auch schon unser Etappenziel am Berghang vor uns. Hier stehen kaum zehn Wohnhäuser, allesamt Bauernhöfe. Unserer Schätzung nach wird dieses Dorf einzig und allein von einer Familie bewohnt. Ein Großteil der Söhne oder Schwiegersöhne leben von der Landwirtschaft und ein einziger hat hier eine Herberge aufgemacht. Als wir die ersten revierschützenden Hofhunde heil überstanden haben, stehen wir vor ihr.

Heute wird uns eine Unterkunft der besonderen Art angeboten: Der Container. In dieser übergroßen Blechbox werden eigentlich die Außensitzgruppen der Herberge gelagert. Heute Nacht dürfen wir sie uns zur Seite schieben und unser Bett daneben aufbauen. Das geht auf jeden Fall schneller als Zelt auf- und abbauen. Ist außerdem mal was anderes, also warum nicht? Ich lege die Alumatten aus, darauf unsere Luftmatratzen, dann die Schlafsäcke, zwischen unsere Betten kommt Siras Decke. Ich stelle noch einen der Tische und zwei Stühle zurecht, daneben auf den Boden den Kocher und fertig ist unsere 3-in-1-Wohnung für eine Nacht! Immer wieder kommen Pilger, die in der Herberge schlafen, vorbei, um einen neugierigen Blick auf unsere abenteuerliche Behausung zu werfen. Sie sind beeindruckt: Alles da, was man braucht.

  Sira ist auch sehr zufrieden. Sie begutachtet ihren Schlafplatz, liegt Probe, untersucht Papas Schlafsack, liegt auch da Probe und befindet beides für gut, sodass sie sich für eine Halb-Halb-Lösung entscheidet.

Ihre Ruhe wird ab und an jäh gestört, entweder durch eine Kuh- oder Schafherde, die gemächlich durch den Ort getrieben wird oder durch die Dorfhunde, die immer mal gemächlich vorbei schauen. Der deutsche Schäferhund des Dorfes und einer, der aussieht wie eine Kreuzung aus Hund und Schaf, sind für sie nur kurzzeitig aufregend. Anders ist das bei einem niedlich aussehenden mittelgroßen Struppi, der immer wieder ganz verliebt zu ihr kommt, mit ihr spielt, ihr zart ins Bein beißt, ihr die Ohren leckt oder einfach nur lautlos mit ihr tobt. Es ist so süß, die zwei zu beobachten! Hach, muss Liebe in der Pubertät schön sein!!!

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Kommentare: 3
  • #1

    Lore aus Lohmar (Donnerstag, 13 Juni 2013 15:40)

    Sagt mal, wie schafft Ihr das eigentlich, abends bei den Berichten immer noch zu wissen, was der Weg den Tag über so mit sich gebracht hat, wie die Dörfer hießen und sowas alles. Ich meine, wir würden ja gar nicht merken, wenn Ihr da ne falsche Ereignisreihenfolge schildert oder Namen verwechselt oder erfindet, aber so schätz ich Euch ja auch nicht ein. Fragt Ihr Euch manchmal sowas wie: "Papa, war das mit dem blöden steilen Aufstieg gestern oder heute?" Oder: "Annika, wie hieß noch der Typ an dieser urigen nicht ganz so legalen Donativo-Herberge?"
    Es ist mir nach wie vor unheimlich, dass Ihr solch tolle Berichte zustande bringt über einen echt langen Zeitraum. Ihr müsst Wunderwanderer und Wunderschreiber und nicht zuletzt einfach Wunderpilger sein!!!
    Danke!
    Ich freu mich riesig auf ein Wiedersehen!
    Liebe Grüße
    Lore

  • #2

    Dani (Donnerstag, 13 Juni 2013 18:27)

    Ey, wie putzisch...!!

  • #3

    Mama Ingrid (Freitag, 14 Juni 2013 00:22)

    Lore, du hast absolut Recht, ich kann mich dem nur anschließen!
    Hihi, okay, Anni, als "Wetterfrosch" müssen wir dich also abhaken!
    Bersch heraff, Bersch herunner! Dat is ene Piljer sinne Bestimmung!
    Ohohoh, die Kräuter aus dem Garten der alternativen Herberge! Na ja, nana.
    Sira mal wieder. Sie schießt echt den Vogel ab! Ich glaube, so viel hätte sie ohne die Pilgertour in der Zeit niemals lernen und erfahren können.Ich wünsche ihr eine gute Nacht mit "Struppi" (vielleicht kann sie sich ja pubertärmäßig rausschleichen) :-)
    Ich freu mich auch riesig auf ein Wiedersehen.
    Bessos para todos