Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Oh du schönes Galicien!

Von Laguna de Castila nach A Balsa, 26 km

Mit Sira im Arm bin ich eingeschlafen, mit Sira im Arm wache ich wieder auf. Wir haben es heute Nacht genossen, mal wieder ganz nah beieinander zu schlafen. Wird Zeit, dass wir wieder auf unsere Couch zu Hause kommen.

Überhaupt muss ich sagen: Ich freue mich auf zu Hause! Ich frage viele Pilger, mit denen wir ins Gespräch kommen, ob sie sich auf das Ende der Reise freuen oder nicht. Keiner von ihnen hat die Antwort gegeben, die ich geben würde, wenn man mich fragte. Ich freue mich wirklich. Natürlich, ich genieße diese Reise jeden Tag. Ich genieße die Nähe zu meinem Hund, meinem Papa und der Natur. Außerdem ist das Leben hier so herrlich aufs Wesentliche reduziert: Laufen, Essen, Duschen, Klo, Schlafen. Das ist herrlich.

Trotzdem ist es mir genug. Wir sind gelaufen, wir haben erfahren, wir haben gelernt. Aber jetzt kann ich, wie gesagt, bald einen Haken dahinter setzen. Es ist an der Zeit, das Ziel zu erreichen. Anzukommen nach all der Zeit. Wieder nach Hause zu kommen. Ich freue mich auf meinen Freund. Auf meine Familie. Auf Freunde und anstehende Feierlichkeiten. Auf meine herrliche Matratze. Auf ein anständiges Kopfkissen. Auf eine vernünftige Bettdecke. Auf eine Dusche mit heißem und starkem Strahl, bis ich sie wieder ausdrehe. Auf Körnerbrot mit Fleischwurst. Auf Apfelschorle. Aufs Ausschlafen bis ich von selbst wach werde. Auf den frei im Haus herumlaufenden Hund. Einfach aufs zu Hause sein. In 15 Tagen ist es soweit. Dann geht es heimwärts. Ich freu mich!

Das erste, was Sira am Morgen sieht, als ich die Schuppentür öffne, ist ihr struppiger Spielgefährte von gestern Nachmittag. Sie spielen wieder herzerweichend miteinander, bis wir unsere Sachen gepackt haben und losgehen.

Ich weiß nicht, ob es an der Sonne oder an der Steigung liegt, aber schon auf den ersten Metern geraten wir ganz schön ins Schwitzen. Die Luft ist klar, aber die Sonne scheint auch schon kräftig.

Es geht steil hinauf nach O Cebreiro. Ein kleines ,schmuckes Dörfchen mit Backsteinhäusern. Die ersten Läden für Pilgersouvenirs öffnen gerade erst ihre Pforten, ebenso wie ein Privathaus, aus dem gleich darauf zwei wütend bellende Hunde herausgeschossen kommen. Zeitgleich zieht von rechts eine Katze über die Straße und ich habe mit der Gesamtsituation alle Hände voll zu tun, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kriege das Ganze in den Griff und wir verlassen O Cebreiro weiter über einen Feldweg den Hügel hinauf. Nach dreihundert Metern bleibt Papa stehen und klatscht sich gegen den Kopf: "Och nää! Pilgerstempel vergessen!" Er stapft weiter: "Ach komm, is egal..." Ist es gar nicht, merke ich. "Soll ich zurück gehen, einen holen?" Papa nickt nur glücklich und ich schmeiße Rucksack und Hund ab und wetze zurück. Ich muss ja sagen, mir bedeutet dieses ganze Gestempel nix. Deswegen trägt Papa immer gleich beide Credencials ("Stempelkarten") bei sich, sodass er gleich für uns beide die Stempel besorgt, die man in Kirchen, Unterkünften, Touri-Infos, Bars oder sogar einzelnen Supermärkten bekommt. Die Stempelkarten legt man in Santiago im Pilgerbüro vor, um dann seine begehrte Compostela, also quasi die Pilgerurkunde zu bekommen. Außerdem sind sie für Viele ein schönes Andenken. Ginge es nach mir, hätte ich wahrscheinlich keine fünf Stempel in meinem Pass. Ich bin für sowas zu bequem. Für jeden anderen gehören bestimmte Stempel eben in einen Pass, unter anderem der von O Cebreiro. So auch für Papa. Ich merke, dass ihm das wichtig ist, also tu ich ihm den Gefallen und ergattere das begehrte Stück.

Mit einem Umweg von einem Kilometer und einer Viertelstunde geht es weiter. Wir genießen die klare Sicht über die galicischen Berge. Ja, richtig gehört, galicisch. Heute haben wir schon eineinhalb Kilometer nach Aufbruch den Grenzstein passiert, der markiert, wo man von Kastilien-Leon nach Galicien übertrifft. Jetzt sind wir endgültig im letzten Teilstück angekommen.

Wir gewinnen immer mehr an Höhe, bis wir schnaufend am Alto San Roque ankommen. Die Statue eines wettergegerbten Pilgers, der sich gegen den Wind lehnt, ziert die Anhöhe. Jeder lässt einen Schnappschuss von sich mit der Statue machen und wir ziehen weiter.

Von jetzt an entscheiden wir uns des Öfteren für die Straße. Der Jakobsweg führt auf Schotterpiste parallel dazu entlang, aber hier kriegt man andauernd Steinchen in die Schuhe, muss immer wieder hoch und runter, Sira hat Pilgerfährten in der Nase und außerdem fährt auf der Straße eh kaum ein Auto. Und der Wheely hat es dort eben einfach leichter. Und das haben wir uns verdient! Fast jeder lässt sich auf den Etappen, die wir gestern und heute gemacht haben, sein Gepäck transportieren, aber wir sind hart geblieben. Ganz oder gar nicht, das ist das Motto, wenn Papa mit seiner Karre die steinigen Holperpisten hochrumpelt. In guten wie in schlechten Zeiten eben...

Seicht geht es bergab ins Dorf Hospital da Condesa. Wir sind so mit der Suche nach einem geeigneten Rastplatz beschäftigt, dass wir den riesigen Schäferhund-Husky-Mix nicht bemerken, der im nächsten Moment mit seiner gesamten Masse ungebremst in seine Kette springt, die einen halben Meter vor uns endet. Er bellt aggressiv, gestresst und mit einer Lautstärke, die uns das Blut in den Adern gefrieren lässt. Sira geht gefasst vorbei, wir hinterher und setzen uns unweit davon in die Pilgerbar. Bei jedem Pilger, der vorbei kommt, hören wir ihn wieder ausrasten und ich habe Mitleid mit dem Ungetüm. Es ist gemein, ihn hier festzumachen, wenn er doch offensichtlich mit dem nie verebbenden Strom neuer Leute Probleme hat. Kann man ihn denn nicht z.B. auf der anderen Hausseite anketten? So kann er ja nie zur Ruhe kommen, ebenso wenig die Pilger, die vorbei laufen. Von den Anwohnern mal ganz zu schweigen...

Nachdem wir aus dem Ort raus sind, steigt der Weg wieder an. Und dann soll man plötzlich von der Landstraße ab, um ein Stück bergab zu gehen, wo wir doch eigentlich geradewegs auf den Alto de Poio, den höchsten Punkt des galicischen Jakobsweges mit 1337 hm zusteuern. Neenee, nix da! Wir bleiben bis zum Pass auf der sanft ansteigenden Straße, während wir rechts unter uns die armen Pilger den steilen und steinigen Geröllpfad hinaufkriechen sehen. Hm, selbst Schuld...

Vom Alto de Poio haben wir eine wundervolle Rundumsicht über die Berge Galiciens.

Sira kann den Ausblick mal wieder gar nicht genießen. Der Schäferhund der ortsansässigen Bar kommt auf sie zu und möchte sie begrüßen. So richtig kann sie das immer noch nicht gut haben. Nachdem sie ihn ein paar Mal angestänkert hat, sucht der alte Mann das Weite. Wieder einen Schäferhund überlebt!

Als wir hinabgestiegen sind nach Fonfria, steht auf einmal eine alte Bäuerin vor uns und redet auf Spanisch auf uns ein. In ihrer Hand balanciert sie einen Teller frisch gemachter heißer Crepes. Als sie sieht, dass wir nicht abgeneigt sind (wie könnten wir auch?!?), läuft sie rein und holt Zimtzucker, den sie hektisch über die Leckereien pudert. Schon hat sie wieder eine Hand frei, um wild gestikulierend um Spenden zu bitten. Soll sie haben, wir haben ja schließlich auch was bekommen... Auf dem Weg aus dem Dorf hinaus lassen wir uns die Pfannekuchen gut schmecken. So richtig bäuerlich. Der leicht saure Geschmack der frischen Kuhmilch kommt deutlich heraus. Mir gefällts!

Durch kleine Dörfer mit herrlichen Aussichten klettern wir hinab nach Triacastela. Außer einem kleinen Einkauf und einer kurzen Pause halten wir uns hier nicht lange auf. Unsere Unterkunft wartet!

Durch ein kleines Flusstal und mit plötzlich weitaus mehr Steigung als wir erwartet hatten, gelangen wir endlich nach A Balso, wo wir in unserer Herberge "El Beso" von den Betreibern Jessica, einer Italienerin, und Mareyn, einem Holländer, in Empfang genommen werden. Sira findet gleich Gefallen an der hochträchtigen Katze des Hauses, während Circo, der freundliche Haushund ihr völlig egal ist.

Die Katze rennt davon und wir sind völlig begeistert von der Gelassenheit und Herzlichkeit der Hospitaleros. Sie bieten uns die Möglichkeit, entweder in ihrem Garten oder in einem Zimmer im unrenovierten Teil ihres wunderschönen alten Hauses zu schlafen, selbstverständlich für lau. Die Faulheit und die Tatsache, dass man unter uralten riesigen Kastanien wegen der Pieksgefahr nur schlecht schlafen kann, lassen uns das Zimmer wählen. In diesem Haus ist alles, was bisher gebaut oder renoviert wurde, Marke Eigenbau. Mareyn hat viel Mühe hineingesteckt. Vor allem das Badezimmer mit gefliestem Treppenaufgang zu Klo und Ökodusche gefallen mir. Und auch das Plumpsklo im Garten hat was... Während die zwei uns herumführen und die weiteren Renovierungspläne preisgeben, wächst in mir der Wunsch, in drei oder vier Jahren noch einmal hier vorbei zu kommen, um zu sehen, wie die Pilger in dem bis dahin renovierten großzügigen Wohnraum mit offenem Kamin sitzen und die Gastfreundschaft genießen. 

Dass die beiden Gastgeber selbst ehemalige Pilger sind, merkt man gleich. Hier geht es nicht darum, sich an den Pilgern zu bereichern, sondern darum, dass man sich wohl fühlt.

Um meinen Geldbeutel zu schonen und mein Rucksackgewicht wieder ein bisschen schrumpfen zu lassen, koche ich für mich selbst, während Papa mit den anderen das Pilgermenü genießt. Aber langweilig wird mir nicht, denn schon bald gesellen sich Jessica und Mareyn zu mir, geben mir ein Weinchen aus und ich kann sogar noch ungefragt einen Nachtisch abgreifen. Wir unterhalten uns viel und bekommen sogar noch den einen oder anderen Tipp für die letzten paar Kilometer bis zum Ziel.

Am Abend ist wieder mal die Gelegenheit für Sira, ganz nah bei mir zu sein, ganz ohne Zelte, Betten oder sonstigen Schnickschnack. Sie legt sich fast auf mich. Alles ist gut!

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Kommentare: 1
  • #1

    Mama Ingrid (Samstag, 15 Juni 2013 23:04)

    "Un canto a Galicia, hey!" (Julio Iglesias)
    Nun hat der Endspurt also tatsächlich begonnen. Aber ist es nicht trotzdem noch zu früh für einen Rückblick, ein Resumé? Warte mal auf das fulminante Finale, wenn ihr in Santiago einlauft!
    Hihi, wenn Papa doch so scharf ist auf das "Gestempel", warum hat er dich dann zurücklaufen lassen, die faule Socke? Du bist schon eine liebe Tochter!
    Tja, Anni, mit dem sauren Geschmack der guten frischen Kuhmilch bist du in Helpenstell ja groß geworden, hihi.
    Sira fand Gefallen an der KATZE??? Ich kann mir schon vorstellen, in welche Richtung ihre Phantasie da so ging....
    Kindchen, du hast mit Sira gekuschelt, so "ganz ohne Zelte, Betten oder sonstigen Schnickschnack"?! Lieber Himmel! Etwa auf dem nackten Boden? Das ist wahres Pilgern!