Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Es fällt schwer...

Von Santiago nach Negreira, 23 km

Wie schnell man sich doch gewöhnen kann... Nach einem Tag Ausschlafen fällt mir das frühe Aufstehen schon ganz schön schwer.

Nicht nur mir. Papa auch,  er  leidet unter Kopfschmerzen. Sira ist die einzige, die es gar nicht abwarten kann. Sie hat gestern eindeutig zu wenig Aktivität abbekommen. Sie springt an mir hoch, beißt in die Leine und dreht einfach nur ein bisschen durch. Als wollte sie uns sagen: "Könnt ihr nicht ein bisschen schneller machen? Ich will los!"

 Wir geben unser Bestes und stehen bald wieder vor der Kathedrale. Wir werfen einen letzten Blick auf unseren großen Höhepunkt und ziehen dann an ihm und dem Parador Santiago, der großen historischen Pilgerunterkunft vorbei, die inzwischen ein 5*-Luxushotel ist, und raus aus Santiago.

 Irgendwie ist man viel schneller raus  als man reingekommen ist. Bald laufen wir durch einen schönen verwilderten Park mit uralten dicken Laubbäumen. Wie viele Jahre suchen die Pilger hier wohl schon einen Moment der Ruhe und des Schattens, nachdem sie den Großstadttrubel hinter sich gelassen haben?

 Bald zeigt uns der weitere Wegeverlauf, dass er gar nicht einsieht, hinter Santiago so einfach und gemütlich dahinzuplätschern. Nein, er verlangt uns richtig etwas ab! Steil und steinig geht es auf Waldpfaden zwischen Eukalyptus auf und ab. Genau das Richtige für einen kopfschmerzgeplagten Mann mit Wheely und einer Frau mit Hund und einem Fuß, der bei jedem Schritt vor Schmerzen jault. Seit ich zu Beginn des spanischen Caminos neue Schuhe bekommen habe (derselbe Typ wie die Alten), quälen mich diese blöden Dinger. Eigentlich nur der Linke und der auch nur am Ballen. Und das auch nicht regelmäßig, sondern immer mal zwischendurch und dann aber wie die Hölle. Ein Gefühl, als wäre der gesamte Ballen ein einziger Krampf. Nicht schön! Bei der heutigen Buckelkiste gar nicht schön! Papa schnaubt unter der Last seines Wheelys. Hinzu kommen die steigenden Temperaturen, die uns ins Schwitzen bringen. Beide leiden wir stumm und kommen nur langsam voran. Das erste Mal, dass wir mehrfach auf dem Weg überholt werden. Man kann es ruhig sagen: Wir haben uns gequält. Kurzzeitig wünsche ich mir, Santiago wäre doch unser Finale gewesen und wir wären jetzt durch mit solchen Strapazen. So, Ruhe jetzt, genug gejammert!

Die Pilgerströme sind vorbei. Zeitgleich mit uns sind zwar ein paar Unentwegte aus Santiago ausgezogen, aber dann verläuft es sich schnell. Wir sehen nur selten welche. Siras Nase sagt uns allerdings, dass sie nicht besonders weit weg sein können.

 In Quintans ist es endlich Zeit für eine Rast. Wir steuern die örtliche Bar an. Zwei Pilger sitzen auf den Plastikstühlen davor. Wir kennen sie nicht. Man grüßt mit einem knappen Nicken. Wo ist es hin, das fröhlich geträllerte "Buen Camino!", das sich alle Pilger in den vergangenen Wochen andauernd zugerufen haben? Wo sind die immer wiederkehrenden Fragen zum Pilgern mit Hund und Wheely? Wo ist die klassenfahrtähnliche Grundstimmung? Weg! Vorbei! Hier geht's gediegener zu. Ruhiger. Irgendwie erwachsener. Ab und zu ist das auch mal schön. Aber den Gemeinschafts-Camino vermisst man schon .

 Nach Eis und Cola, einer Runde "Schuhe aus" für meine wehen Füße, einer Runde Aspirin für Papas Kopf und einem halben Eieromelette von der netten Frau vom Nachbartisch für Sira geht es weiter.

Wir ziehen an eingezäunten Gärten vorbei, an Weinspalieren und Wiesen, ich träume so vor mich hin, da macht Sira auf einmal einen Satz, dass es mir bald die Rippen prellt und die Luft wegbleibt. Eine Katze hat unmittelbar am Wegesrand gesessen und sich nun auf ein Weinspalier gerettet. Boah, da mischen sich Eis und Cola in meinem Bauch nochmal richtig durch und schäumen so richtig schön zusammen auf. Nach ein paar Mal Durchatmen können wir weitergehen.

Kleine Dörfer säumen unseren Weg. Ventosa, Augapesada und Carballo. Immer weiter werden wir steil bergauf und bergab gescheucht. Ab dem Alto do Mar de Ovellas geht es endlich nur noch bergab.

 In Trasmonte zieht sich der Himmel endgültig zu. Die ersten Tropfen erwischen uns kurz vor Ponte Maceira, wo wir sowieso rasten wollen. Bei der ersten und einzigen Bar mit Restaurant suchen wir Schutz. Wir versuchen es gar nicht erst drinnen, denn es ist schließlich ein Restaurant und wir sind  mit Hund unterwegs. Also rücken wir uns wie selbstverständlich den fast dichten Sonnenschirm zurecht, platzieren Hund und Gepäck so regengeschützt wie möglich und uns mit Poncho und Schirm irgendwie drumherum. Papa bestellt wie immer Getränke. Der Kellner lädt uns ein, doch auch drinnen zu sitzen, nur der Hund müsse draußen bleiben. Wir lehnen dankend ab. Nicht ohne Hund. Ich glaube, der junge Mann ist beeindruckt von unserer Hundesolidarität. Er stellt uns den zweiten Sonnenschirm irgendwie dazu und bringt uns vier Kroketten zum Probieren, für jeden zwei. Jaja, ich kann mir vorstellen, wie das läuft. Appetizer bringen und die Leute anfixen, dann bestellen die schon noch nach... Aber bei 'ner 0,2l-Cola für zwei Euro bleibt nicht noch wer weiß wie viel Geld übrig für sonstige Leckereien. Trotzdem zählen diese verdammten Dinger tatsächlich zu dem Leckersten, was ich je gegessen hab. Mit Hähnchen und irgend so einer Creme drin. Als wir unser Pröbchen verputzt haben und ich den Kellner für das Leckerchen lobe, ohne aber Neues zu bestellen, bringt er trotzdem nochmal die gleiche Portion, plus einer Schüssel mit gesalzenem Knabberkram. Wir müssen wirklich entweder mitleiderregend aussehen oder viel Eindruck machen! Als wir einsehen, dass das Wetter nicht unbedingt im absehbarer Zeit besser wird, beenden wir die Pause und ziehen durch den Regen und über die Landstraße nach Negreira.

 Wenigstens über die Unterkunft müssen wir uns keine Gedanken machen, da man uns doch versichert hat, dass es kein Problem werden würde, mit dem Hund in der Unterkunft zu schlafen. Vermutlich in Küche oder Aufenthaltsraum, aber Hauptsache drinnen bei dem Regen. Wir kommen an, finden die freundliche Herberge mit der freundlichen Hospitalera und einer großzügigen Wohnküche. Wir bezahlen, richten uns ein und in einem Nebensatz erwähnt die Frau: "Wir haben hier auch eine Katze, eine kleine, ganz niedliche, die wohnt da hinter dem Paravant." Super! Im gleichen Raum wie wir. Die ganze Nacht! Und den Nachmittag! Mal sehen, wie lang das gut geht. Es dauert circa eine halbe Stunde, Papa hat sich gerade häuslich eingerichtet, da fängt das Kätzchen das Singen an. Sira ist schon vorm ersten Blickkontakt aus dem Häuschen. Als sie sich dann sehen, ist alles vorbei. Das kleine Ding provoziert schon wie die ganz Großen und Sira haut bald den kompletten Anmelde-Schreibtisch um. Die Hospitalera steht verhältnismäßig unbeeindruckt daneben. Ich nicht. Denn so erholt sich hier heute Nacht niemand. Sira nicht. Ich nicht. Und alle anderen Pilger nebenan im Schlafsaal auch nicht.

 Die Entscheidung ist relativ schnell und einstimmig getroffen. Wir rufen im einzigen hundefreundlichen Hotel des Ortes an. Wir dürfen dort residieren. Papa wartet mit Sira draußen, als ich meine Sachen zusammenraffe und umgekehrt. Keinem müssen wir antun, dass Sira nochmal zurück geht ins Katzenhaus. Nachdem ich mir unseren bezahlten Herbergspreis zurückerkämpft habe, warte ich draußen, während Papa seine Sachen wieder einpackt. Ein junger Mann mit Pilgerrucksack und riesigem Schäferhund steuert auf die Herberge zu und Sira flippt schon auf hundert Meter Entfernung völlig aus. Der will auch hier schlafen! Na wie gut, dass wir abhauen! Wir verkrümeln uns in den nächsten Hauseingang. Auch als die zwei wieder vorbeikommen und der Mann uns ermutigt, den Konflikt doch zuzulassen, verfahren wir gleich. Das brauch ich jetzt nicht. Nicht hier in der Stadt, wo es eh schon stressig genug ist und man nicht ausweichen kann. Der junge Mann guckt mitleidig und geht weiter. Als er das dritte Mal vorbeikommt, lässt er mir kaum eine Wahl. Er WILL den Konflikt. Na gut, dann mal los. Er hält den Hintern seines lammfrommen Schäferhundes hin, damit Sira schnuppern kann. Die macht sich aber so ins Hemd, dass das kaum möglich ist. Er zeigt mir ein paar Kniffe, damit besser umzugehen. Endlich mal jemand, der da praktisch ist und nicht nur schlaue Sprüche übrig hat. Wir unterhalten uns und er gibt mir ein Bier aus. Dann ziehen Papa und ich weiter Richtung Hotel  und  freuen uns auf ein gemütliches Zimmer mit heißer Dusche, denn es regnet schon wieder und ist echt kalt.

 Beim Hotel läuft wieder mal alles anders als geplant. "Oh, nee, so ein großer Hund darf aber nicht mit ins Zimmer. Der kann in den Zwinger hinterm Haus zu den anderen Hunden." Mir wird schlecht. Tränen der Erschöpfung, Verzweiflung und Wut steigen mir in die Augen. Der Mann hat kein Erbarmen. "Aber ich hab doch extra angerufen!" - "Da wusste ich ja nicht, wie groß der Hund ist..." - "Aber sie ist ganz ruhig und lieb!" - "Aber zu groß. Zwinger oder tschüss!"

Gut, dann eben tschüss, du herzloser, gemeiner Mensch. Unsere letzte Hoffnung ist eine nahegelegene Herberge aus unserem Buch, die zwar ein Hundeverbotszeichen, dafür aber ein Pferdezeichen trägt. Wo ein Pferd schlafen kann, können wir auch schlafen, das haben wir schon bewiesen. Also hin!

 Als ich an der Rezeption stehe, dauert es nicht lange, bis meine Verzweiflungstränen erneut kullern, bevor die Frau überhaupt antworten kann. Sie hat ein Herz, macht für uns eine Ausnahme und wir können nebenan in einer Lagerhalle schlafen, während Papa in den Genuss der Zweisterne-Herberge kommt. Es ist trocken, nicht besonders kalt, Sira kann frei in  dem "Abenteuerspielplatz" herumlaufen und ich richte uns mit noch  eingeschweißten Matratzen ein gemütliches Plätzchen her. Ich bekomme Papas Schlafsack, Sira meinen direkt daneben und wir sind einfach glücklich. Zum Essen und Duschen lasse ich Sira kurzzeitig allein, was selten auf dieser Tour passiert ist, und wenn, dann nur in den letzten paar Tagen.

Ich hab das Gefühl, sie weiß auch hier so langsam, dass wir nicht ohne sie weggehen. Als ich nach dem Abendessen lauschend auf der Straße stehe, jammert sie nicht. Sie rennt nicht herum. Ich öffne die Tür, sie liegt auf meinem Schlafsack und schaut mich mit schiefem Kopf an, als würde sie noch ewig so warten, wenn ich ihr doch weiterhin alle einsamen Nächte im Zwinger erspare.

Das mache ich! Mein guter, guter Hund!

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Kommentare: 1
  • #1

    Mama Ingrid (Freitag, 21 Juni 2013 21:19)

    Oje, euer Camino scheint echt noch nicht vorbei zu sein. Wie gemein, einen so lieben Hund von seinen Menschen trennen und in einen Zwinger stecken zu wollen, zu anderen, völlig fremden Hunden. Das ist ja, als würde man in den Knast geschickt!
    Gut, dass ihr standhaft geblieben seid, am Ende hats ja doch wieder geklappt.
    Dass du dir das Unterkunftsgeld zurück erkämpft hast, find ich richtig juut!
    Nur noch ein paar Tage durchhalten, meine Lieben, nur noch ein paar Tage!
    Ich wünsche euch für morgen weniger Kopf- und Fußweh.