Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Meer in Sicht!

Von Olveiroa nach Estorde, 25 km

Während ich hier schreibe, baut Anni zehn Meter von mir das Zelt auf. Sira liegt im Halbschatten an einer Kiefer angebunden und genießt den Feierabend. Das heißt, von Abend kann noch keine Rede sein, es ist gerade mal 16 Uhr vorbei. Unsere Ausrüstung liegt malerisch auf der Wiese verteilt, der Wheely sieht auch aus als würde er sich ausruhen und die Schlafsäcke liegen zum Lüften aus. In ihnen steckt noch ein wenig der Muff von der Albergue in Vilaserío.

Anni hat Spaß daran gefunden, das Zelt alleine aufzustellen und einzurichten. "Fang du ruhig schon mit deinem Blogbericht an!", sagt sie. Na, mir soll es doch Recht sein.

Anni bereitet uns heute morgen in der kleinen Küche der Herberge in Olveiroa unseren immer wieder gerne gegessenen Bananen-Porridge, während ich mich anschließend der Zubereitung von Kaffee und Tee widme. Dazu gehe ich aber nicht in die Küche, sondern hänge einen Teebeutel in Annis Tasse, in meine kommt ein Tütchen Instantkaffee und etwas Zucker und in beide Tassen obendrauf nicht gerade sehr heißes Wasser aus dem Kran im Badezimmer. Fertig! Geld kann man dafür nicht verlangen, aber der pappige Porridge wird damit ganz gut runtergespült.

Um 8 Uhr sind wir mal wieder fast die Letzten, die losziehen. Vom Wetter hatte ich mir für heute etwas mehr versprochen, Sonne zum Beispiel. Aber es sind nicht die tiefhängenden Regenwolken, die den Himmel bedecken, sondern es scheint eher Hochnebel zu sein, der sich vielleicht bald auflöst. Und der recht ordentliche Wind, der uns in die Jacken fährt, hilft wahrscheinlich noch dabei, den Himmel freizupusten.

Schon bald nach dem Ortsende von Olveiroa gehen wir auf einem schönen Höhenweg oberhalb des beeindruckenden Flusses Xallas bis Hospital de Logoso, wo es im Mittelalter mal ein Pilgerhospital gab. Heute bietet eine Bar den Pilgern ihre Dienste an. Für uns ist es für eine Rast aber noch zu früh, obwohl ein Schild warnt: "Last drinks for the next 15 kilometers!" Aber was soll's! Mit Sira dürfen wir nicht in die Bar, zum Draußensitzen ist es noch zu ungemütlich und außerdem stört mich - die benachbarte Hochofenfabrik! Ja, richtig gelesen: HOCHOFENFABRIK! Was macht in dieser schönen galicischen Landschaft, umgeben von Wiesen, Feldern, Bergen und Wäldern, eine HOCHOFENFABRIK? Fast bedrohlich groß und schwarz steht sie da und schickt stinkenden Ruß in den Himmel. Mich erinnert das an Duisburg oder Essen zu tiefsten Ruhrpottzeiten.

Unmittelbar hinter diesem Ungetüm haben wir die theoretische Wahl zwischen "Linksrum" nach Finisterre oder "Rechtsrum" nach Muxia. Zu beiden Zielen sind es noch ca. 30 Kilometer. Wir hatten uns schon zu Hause entschieden: Für uns gibt es kein Entweder - Oder, sondern ein Sowohl - Als auch. Erst gehen wir nach Finisterre und dann auch noch nach Muxia. Also "Linksrum"!

Schnell finden wir uns auf einem nächsten Höhenweg wieder. Weit gehen jetzt unsere Blicke über die Berge der hiesigen Küstenregion. Der Camino Finisterre führt durch eine herrliche Heide-, Stechginster- und Strauchlandschaft. Und das Beste: Der Hochnebel hat verloren. Die Sonne löst immer mehr Wolken auf und es wird wärmer. Gerade rechtzeitig für eine kurze Rast an der Erimitage A Nosa Señora des Neves. Da der Wind noch etwas kühl ist, suchen wir Schutz in einem Winkel der kleinen Kapelle und sehen einige wenige andere Pilger vorüberziehen. Was uns jetzt fehlt, ist etwas zu Essen. Rucksack bzw. Wheely geben nichts mehr her, noch nichtmal Kekse oder Schokolade. Anni und ich stellen fest, dass Essen sowieso vollkommen überbewertet wird und spekulieren auf den nächsten Halt in Cee, der nächsten Kleinstadt unten an der Küste.

Zwei Kilometer später ein besonderer Moment: Ich meine, jenseits eines Taleinschnitts im Dunst das Meer zu sehen. Anni mag es nicht so ganz glauben. Jetzt sehe ich einen weißen Fleck in dieser undefinierbaren grauen Masse, die keinen klaren Horizont zu erkennen gibt. Ich nehme den weißen Punkt ins Tele meiner Fotokamera - und tatsächlich! Ich erkenne ein Segelboot. Wir sehen zum ersten Mal das Meer.

Von der Höhe O Cruceiro da Armada können wir dann sogar zum ersten Mal am Horizont das Kap Finisterre mit seinem Leuchtturm erkennen, etwas weiter rechts auf Meereshöhe den Ort Fisterra. Morgen werden wir dort sein.

Von der Höhe geht es steil und sehr steinig hinab in die Bucht von Cee. Der Himmel ist mittlerweile strahlend blau und damit auch das Meer. Bald sehen wir die Häuser von Cee und Corcubión, die sich um die Bucht herum an die Berghänge schmiegen. Weiße Badestrände und ein Hafen mit kleinen Sportbooten machen das Bild perfekt. Für einen Moment ist sogar der Hunger vergessen.

Aber nur für einen Moment! Als wir in Cee einlaufen, suchen unsere Blicke einzig und allein eine passende Gelegenheit zur Nahrungsaufnahme. Nachdem wir zwei Bars links liegengelassen haben - das Auge isst schließlich auch mit -, werden wir mitten in einer Grünanlage am Strand fündig. Was auf die Entfernung aussieht wie ein etwas größeres Klohäuschen, ist sowas wie eine gehobene Frittenbude. Schon die auf einer Tafel angeschriebenen Tagesgerichte führen bei uns beiden zu überhöhtem Speichelfluss: Backfisch bzw. Tintenfischringe mit Fritten und Salat zu jeweils 4,50€. Dat isset!!! Wir bestellen und bekommen eine Viertelstunde später eines der besten Essen der letzten vier Monate serviert, alles frisch angerichtet. Wir genießen es und befürchten nur, mit unseren vollen Mägen den letzten Berg nicht mehr hochzukommen.

Die Befürchtung ist aber unbegründet. Das Wetter, der Blick aufs Meer, die Hoffnung auf eine schöne letzte Zeltübernachtung in der nächsten Bucht, all das trägt uns praktisch über den Berg hinüber nach Estorde zum Campingplatz Ruta Finisterre.

Inzwischen steht das Zelt wie eine Eins. Zeit also, dem Strand einen Besuch abzustatten. Es ist kein Badestrand wie z.B. an der Costa del Sol, sondern eher das, was man unter einem Naturstrand versteht: Felsen und Sand natürlich, aber auch Seetang, Strandgut und schlicht auch Müll. Einige Badefreudige tummeln sich mutig im noch nicht so warmen Wasser oder räkeln sich in der Sonne. Während ich mich auf einem Felsen niederlasse, lässt es sich Anni nicht nehmen, mit ihrem Hund herumzutollen. Sira jagt den Stöckchen oder den Kiefernzapfen nach, die Anni wegwirft, vermeidet es aber tunlichst, auf Annis Versuche hereinzufallen, sie ins Wasser zu locken. Dieser Hund macht wirklich nicht den Eindruck, heute bereits 25 Kilometer gelaufen zu sein, geschweige denn fast 3000 Kilometer insgesamt. Sira, wir sind stolz auf dich!

Jetzt beginnt bald unsere letzte Nacht im Zelt. Schade eigentlich!

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Sonntag, 23 Juni 2013 23:45)

    Hihi, okay, Also: Essen wird vollkommen überbewertet? Ich werde dich daran erinnern, Reinhard!
    Bei eurem Calamares-Schlemmermahl erinnere ich mich daran, wie wir die fast allabendlich in der Strandbar an der südspanischen Atlantikküste auf dem Campingplatz genossen haben.:-)
    Du hast gar nicht erzählt, wie die Nacht im Zelt war. Sira zwischen euch oder quer über alle beide drüber? Heiß, kalt, laut, entspannend?
    Das Meer, ja - eine unglaubliche Faszination in sich! Da möchte man doch glatt mal Sira sein! ;-)
    Irgendwie ist es merkwürdig, nach Santiago eure Berichte zu lesen. Gut, ihr wollt noch ans "Ende der Welt", aber ist das auch noch ein Camino, aus der anderen Richtung?
    Viel Spaß noch! Bald seid ihr ja da!

  • #2

    Dani (Mittwoch, 26 Juni 2013 09:26)

    Boah ist das krass!!! Ihr seid am Meer. Also ich nehm da immer den Flieger. Das erinnert mich irgendwie an Frodo und den weg zum schicksalsberg.