Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Richtung Heimat

Von Lires nach Muxía, 15 km

Von Muxía nach Burgos, 570 km

Der letzte Tag! 135 Wandertage liegen dann hinter uns. 135 Tage voller wechselnder Eindrücke, unvergesslicher Erlebnisse und Erinnerungen. Es wird nicht einfach sein, sich ab morgen wieder einen ganz anderen Rhythmus anzugewöhnen. Heute geht es aber nochmal in altbewährter Weise weiter.

Gestern und vorgestern schien schon die Sonne, als wir aufstanden, heute wird es mal wieder gerade hell. Unsere Sachen hatten wir bereits gestern Abend weitgehend zusammengepackt, so dass wir schnell beim Frühstück sitzen. Danach geht es ziemlich zügig. Wir verstauen unser Gepäck bei Jan im Auto, verabschieden uns von Rosa, bedanken uns für einen tollen Aufenthalt in einem gastlichen Haus, steigen ein und Jan rollt die Straße hinunter.

Nach 20 Minuten Fahrt lädt er uns in Lires wieder aus, dort, wo er uns gestern Nachmittag aufgegabelt hat. Jetzt liegen die letzten 15 Kilometer von insgesamt 3000 vor uns. Etwas mehr als eine Stunde gehen wir nochmal alleine, dann kommt der Moment, auf den ich mich schon seit Tagen freue. Wir werden uns mit Sebastian und seiner Freundin Dimi treffen und die letzten zehn Kilometer zusammen nach Muxía gehen. Hoffentlich klappt das Rendezvous in der galicischen Einsamkeit. Von La Coruña aus, wo sie gestern auf ihrer Rundreise angekommen sind, haben sich die Beiden ungefähr um die gleiche Zeit wie wir mit dem Auto auf den Weg gemacht, um nach Muxía zu fahren. Dort lassen sie den Wagen zurück, steigen in ein Taxi, das sie dann zu uns bringen soll.

Heute gehen wir auf einen Innenlandstrecke, also keine Meeresblicke oder Strandspaziergänge wie gestern. Dennoch aber schön! Moderat geht es auf und ab, wieder mal durch Eichen- und Eukalyptuswälder, an mit Farn bewachsenen Feldsteinmauern vorbei, durch kleine Dörfer mit Hunden, Katzen und alten Kornspeichern.

Zu den drei Häusern von Guisamonde sollen sich Sebastian und Dimi bringen lassen, so ist es telefonisch verabredet. 10 Uhr ist angedacht. Um 10.15 Uhr sind wir dort, die Beiden noch nicht. Anni und ich hocken uns in ein kleines Bushäuschen und muffeln Muffins. Von Basti und Dimi keine Spur. Zehn Minuten später klingelt Annis Handy. Basti ist auf der anderen Seite. Er hat zwar dem Taxifahrer den Auftrag gegeben, nach Guisamonde zu fahren, aber auch blöderweise was vom Camino gesagt. So hält der Droschkenkutscher bereits zwei Kilometer vorher in Morquintián, deutet auf die sichtbaren Pfeile des Weges nach Muxía und schmeißt die Beiden raus. Dank der manchmal doch ganz schön nützlichen Handytechnik ist das Problem schnell gelöst und wir vereinbaren, uns auf dem Weg entgegenzukommen.

Jetzt kribbelt es mir doch etwas im Magen. Eines seiner Kinder nach viereinhalb Monaten irgendwo in der Pampa gleich wiederzusehen, hat für mich schon was Besonderes. Auf einer breiten Piste gehen wir gerade mal wieder durch einen Eukalyptuswald, da biegen die beiden Ersehnten um eine Kurve. Schon auf 50 Metern rufen wir uns Willkommensgrüße entgegen und liegen uns wenige Augenblicke später in den Armen. Unser Rendezvous hat tatsächlich geklappt! Lachend und schnatternd ziehen wir gemeinsam weiter.

Basti lässt es sich natürlich nicht nehmen, sich die Hundeleine mit Sira umzuschnallen. Sira gaukelt ihm am Anfang Wanderluxus vor und zieht ihn gemächlich einen Anstieg hoch. Bis bei einem Bauernhof die erste Katze auf dem Weg liegt! Mit Zugkräften dieser Art hat Basti bei einem Hund von dieser Größenordnung nicht gerechnet. Er hat alle Mühe, die Katzenjägerin im Zaum zu halten. Als wir dann Morquintián erreichen und auch noch Hunde dazukommen, übernimmt lieber Anni wieder die Leine. Jetzt hat Basti wenigstens den Hauch einer Vorstellung davon, was seine Schwester auf dieser Pilgerreise, mal ganz abgesehen von den zurückgelegten Kilometern, geleistet hat. Jetzt soll er auch noch die zweite Erfahrung machen: Ich drehe ihm meinen Wheely an. Anfangs ist der Weg noch ohne große Steigung, der Pistenbelag glatt und ohne Schotter oder gar Geröll. Ein leichtes Fahren also. Dann wird es rumpeliger. Erosionsrinnen ziehen eine Anhöhe hinauf und hinunter und Basti bekommt eine kleine Ahnung von dem, womit ich mich viele Tage beschäftigen durfte. Außerdem lastet der Bauchgurt des Wheely schwer auf seinen Hüften und bereitet Schmerzen. Nach höchstens fünf Kilometern darf ich den Wheely wieder übernehmen.

Beim Abstieg hinunter nach Xurarantes sehen wir endlich wieder das Meer. Jetzt wissen wir, es ist nicht mehr weit bis Muxía. Der Weg wird sandiger, verengt sich zu einem Pfad, der fast von Brombeerranken überwuchert wird. Dann befinden wir uns in den Dünen des Playa de Lourido, der letzten Strandbucht vor Muxía. Noch einen Kilometer auf einer wenig befahrenen Küstenstraße entlang der vom starken Wind aufgewühlten See und wir erreichen die ersten Häuser von Muxía.

Muxía ist nicht mehr besonders attraktiv. Vom einstigen Fischerdörfchen zeugen nur noch wenige Steinhäuser. Nach der Entdeckung reicher Fischgründe in den 60er Jahren wuchs der Ort ohne städteplanerischer Weitsicht. Der Grund für die Jakobspilger, nach dem "Ende der Welt" auch noch Muxía aufzusuchen, liegt an der Kirche Virxe da Barca. Der Legende nach erschien dort, wo sich heute das Steinriff mit dieser Kirche befindet, einst dem missionseifrigen Jakobus die heilige Jungfrau Maria in einem seegängigen Steinschiff und sprach ihm Mut zu. Hier wird das endgültige Ende unserer Pilgerreise sein.

Doch vorher haben wir noch einiges zu erledigen. Erste Anlaufstation ist die öffentliche Herberge im oberen Teil der Stadt. Hier erhalten wir die dritte dokumentierte Bestätigung unserer Pilgerreise. Nach der "Compostela" in Santiago und der "Fisterrana" in Fisterra, fügen wir jetzt noch die "Muxíana" unserer kleinen Sammlung hinzu. Alle drei Urkunden werden zu Hause einen Ehrenplatz erhalten.

Danach ist nochmal ein Einkauf angesagt, für alles, was man für eine lange Rückreise im Auto so braucht. Während die anderen Drei in den Supermarkt einfallen, bleibe ich in gewohnter Weise wieder mit Sira draußen vor der Tür. Ob ich mich jetzt vielleicht nochmal zur Aufbesserung unseres Budgets auf den Boden setzen, Sira malerisch neben meinen Füßen platzieren und den Wassernapf aufstellen sollte? Vielleicht kommt ja dann nochmal jemand und ...? Ich lass es. Die Drei kommen recht bald mit dem Reiseproviant wieder aus dem Laden. Viel wäre nicht zusammengekommen.

Unten am Hafen steht Bastis Auto. Jetzt beginnt ein schwieriges Unternehmen. Schon lange haben wir uns die Frage gestellt: "Passt überhaupt unser gesamtes Gepäck in den Kofferraum? Hundebox, Wheely, Annis Rucksack, die Urlaubskoffer von Dimi und Basti sowie diverse andere Kleinigkeiten? Was ist, wenn nicht?" Das Tetrisspiel beginnt.

Das Auto dürfte keine zwei Zentimeter schmaler sein! Nach verschiedenen Versuchen ist alles verstaut. Gott sei's gelobt und gepfiffen! Ein Koffer liegt zwar noch auf der Rückbank zwischen Anni und Dimi, aber das ist wohl das geringste Problem.

Jetzt geht es auf den allerletzten Kilometer. Basti und Dimi fahren mit dem Wagen hoch zur Virxe da Barca. Eigentlich ist mir das auch sehr recht. Diesen letzten Kilometer möchte ich mit Anni und Sira alleine gehen. Der starke Wind, der das Meer rechts von uns aufwühlt, drückt uns fast vom Bürgersteig der Straße, die zur "Jungfrau im Steinschiff" führt. Um 15 Uhr sind wir da, am Ende unseres viereinhalbmonatigen Abenteuers.

Die Virxe da Barca ist ein passender Abschluss. Würdevoll steht die Kirche inmitten einer vom Wasser abgeschliffenen Felsenlandschaft. In einige dieser Felsformationen wurden Figuren hineininterpretiert, z.B. in einen spitz nach oben zulaufenden Felsen das Segel des Schiffes der heiligen Jungfrau. Die Menschen des Mittelalters waren für solche Fantasiebilder bestimmt empfänglicher als die von heute. Für mich ist er eben ein schöner Felsen.

In seinem Windschatten nehmen Anni und ich uns einen Moment miteinander, um uns von unserem Weg zu verabschieden. Was wir wirklich geleistet haben, wird uns vielleicht später irgendwann einmal bewusst. Was der Weg mit uns gemacht, ob er uns verändert hat, werden andere vielleicht eher feststellen als wir selbst. Ein Fazit werde ich mit etwas Abstand ziehen, auch auf diesem Blog.

Jetzt ändern wir die Himmelsrichtung. Von Westen drehen wir auf Osten. Sonne und Wind scheinen sich von uns in aller Form verabschieden zu wollen. Die Sonne strahlt und der Wind fegt uns fast von den Felsen. Schon gut, ihr Beiden, wir verschwinden ja schon. Wir fahren jetzt nach Hause.

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Kommentare: 6
  • #1

    Nicole und Holger (Freitag, 28 Juni 2013 19:49)

    Kommt gut nach Hause und fahrt schön vorsichtig. :-)

  • #2

    Ralf (Freitag, 28 Juni 2013 22:38)

    Es ist geschafft und traurig blicke ich in die Zukunft. Was soll ich denn jetzt immer lesen....wenn Euer Blog jetzt ein jähes Ende nimmt.
    Wünsche Euch ein gutes "Ankommen" in der Realität der Vergangenheit und Zukunft.

    Alles Gute Sira, Anni(Afrika)und Opa :-)

  • #3

    wilf (Freitag, 28 Juni 2013 22:54)

    Ihr habt's geschafft! Chapeau!
    Danke für eure fantastischen Berichte.
    Ihr kennt mich nicht, aber ich kenne euch nun ein wenig.
    Gute Heimkehr!

  • #4

    Monika Stiemert (Samstag, 29 Juni 2013 01:56)

    Alle Achtung! Ihr habt es geschafft!!!
    Gute Heimreise und glückliches Ankommen in Helpenstell!

  • #5

    Carsten Heggemann (Sonntag, 30 Juni 2013 22:29)

    Ein dickes Lob aus Windeck!
    Gute Heimkehr!

  • #6

    Dani (Montag, 01 Juli 2013 09:20)

    Oh Mann. Da kriege ich echt einen Kloß im Hals. Ihr habt Wahnsinniges geleistet. 1000 Dank, dass wir so intensiv daran teilhaben durften.