Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Zughund

Von Saint-Paulien nach Le Puy en Velay, 15 km

Es gibt Tage, da liebe ich meinen Hund sehr. Und dann gibt es da noch Tage wie heute...

Als wir unsere Unterkunft nach einem vorzüglichen Ovomaltine-Haferschleim mit frischen Erdbeeren verlassen und mich die Sonne anblinzelt, bin ich eigentlich sehr zufrieden fürs Erste.

Heute laufen wir bis zur Pilgerhochburg Le Puy-en-Velay, nur eine kurze Etappe. Und irgendwie soll es auf Höhen liegen... Naja, da wir den ganzen Tag durch Ebenen mit einigen Hügeln laufen, erwarte ich beim Erklimmen jedes Höhenzuges, dass sich dahinter endlich ein erster Blick auf die Madonna von Le Puy werfen lässt. Von diesem Anblick sind wir, wie ich später feststelle, noch weit entfernt. Und sowas kann ich ja schon gar nicht leiden.

Nach der ersten Steigung ist Papa bereits soweit, sein Fleece auszuziehen. Die Sonne gibt alles.

  Von Saint-Paulien ziehen wir über kleine Dörfer und mit ordentlichem  Auf und Ab voran. Ich weiß nicht, was heute mit meinem Hund los ist. Er ist schwer aufgeregt, kriegt die Nase kaum vom Boden hoch, zieht mich hin und her und ignoriert mich inbrünstig. Und das über Stunden. Toller Hund! Vor allem weiß ich gar nicht, was er  da Tolles in der Nase hat. So lang kann kein Reh den gleichen Weg genutzt haben wie wir. Naja, Sira zieht das durch, lässt sich in keinster Weise von meinen Verwünschungen und Flüchen beeindrucken, ebensowenig wie vom Leinenziehen meinerseits. Als ich irgendwann nah vorm Nervenzusammenbruch stehe, drehe ich sie auf den Rücken, um die Rangordnung zu klären. Jakobus hat das wohl nicht gepasst: Ich habe mich, wie ich später feststelle, in Brennnesseln gekniet. Und Sira ist nur sehr kurzfristig beeindruckt. Danke, Jakobus, das habe ich verstanden!

Nach einer Weile überqueren wir wieder einen Bach auf Trittsteinen. Mehr ein Bächlein im Vergleich zu gestern. Und ein dicker Stein in 50 cm Entfernung, auf dem man übersetzt. Kinderspiel! Papa hält den Hund fest, ich mache einen großen Schritt, rutsche auf dem glitschigen Stein aus und mein anderes Bein landet bis zum Knie im Wasser. Ja, ist denn heute alles gegen mich??

Plötzlich läuft Sira wieder ganz kommod, und das bestimmt drei Kilometer lang. Papa sagt, das liegt daran, dass die Jakobsmuschel an meinem Rucksack sich verdreht hatte und er sie mir vor drei Kilometern wieder richtig herumgedreht hat. Ob es wirklich etwas damit zu tun hatte, weiß ich nicht. Als wir nach unserer Pause in Bilhac weiter laufen nach Polignac, zieht sie genauso wie am Anfang des Tages.

In Polignac herrscht geschäftiger Lärm. Bauarbeiter reißen die alte Asphaltdecke auf und verlegen stattdessen schöne Steine. Sieht ja nett aus, doof ist nur, dass sie dafür den Weg sperren. Wir haben keine Lust, woanders herzugehen und stehen solange unschlüssig herum, bis uns einer der Arbeiter einen Weg durch die Baustelle zeigt. Bis wir vor dem nächsten Absperrgatter stehen. Papa klettert drüber, ich stapfe mit Sira zurück. Der Arbeiter zeigt mir einen anderen Weg. Er hält mich wohl für ziemlich bescheuert. Egal, ich ihn auch.

Vor der Kirche ist Markt und ein paar Anwohner halten Schwätzchen an den Ständen. Hoch über uns ragt auf dem Felsen majestätisch und wuchtig das Chateau du Polignac in die Höhe. Ich weiß nicht, was eindrucksvoller ist, der mächtige Basaltfels an sich oder die klobige Burg.

Als wir nach Polignac endlich eine letzte Steigung gemeistert haben, tut sich vor uns doch tatsächlich der Blick auf, auf den ich den ganzen Tag schon hinwandere: Le Puy-en-Velay, eine Stadt mit engen Gässchen und den bizarren Basaltsäulen, die gekrönt sind von der Kapelle St. Michael und einer riesigen Marienstatue. Unterhalb der Marienstatue die Kathedrale Notre Dame le Puy, von der aus seit dem 10. Jahrhundert tausende und abertausende Pilger ihre Reise nach Spanien zum Grab des heiligen Jakobus angetreten haben.

Die Stadt an sich ist ganz nach meinem Geschmack: lauter kleine niedliche Gassen, umrahmt von geschichtsträchtigen, alten Gemäuern. Und der Gang hinauf zur Kathedrale, zunächst über die steile Gasse, dann über unzähligen Steinstufen, hatte schon etwas ganz Besonderes. Oben angekommen, setzen wir uns erstmal auf die Stufen und hängen kurz unseren Gedanken nach, bevor wir uns die Kathedrale von innen anschauen und uns auf die Quartiersuche begeben.

Den allgemeinen Pilger-Spirit, den ich mir von Le Puy versprochen habe, kann ich leider nicht so richtig gewinnen, wohl aber eine Vorstellung davon, was uns in Spanien erwartet: Wir erfahren einiges, was wir mit Hund NICHT dürfen. Keine Pilgermesse, kein Pilgertreff, hier nicht schlafen, da nicht essen. Das kann ja noch was geben!

Am Ende des Tages haben wir dann aber doch noch im Grand Seminaire St. Georges ein günstiges Dach überm Kopf, etwas zu essen im Bauch und die nächsten beiden Nächte in Pillgerunterkünften gesichert.

Was lernen wir daraus? Wo ein Wille ist (und ein paar gute Menschen im Spiel sind), da ist auch ein Weg!

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Donnerstag, 11 April 2013 00:22)

    Wow! Richtig tolle Fotos!
    Anika, ich muss dir mal sagen, dass gerade deine natürliche, direkte Art, die Dinge zu erzählen, die Leute hier alle begeistert.
    Wir hatten gestern die erste Theater-Leseprobe, und irgendwie haben die alle immer gelacht. Na ja, hat voll Spaß gemacht, waren auch fast alle da.
    Ganz viele Küssi

  • #2

    Dani (Donnerstag, 11 April 2013 09:16)

    Die Bilder sind ja der Hammer!!! Aber Anni: ich bin doch froh dass ich diesem Tag nicht in deiner Nähe sein musste.