Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Ein Esel auf zwei Rädern

Von Lamothe nach Monneton, 28 km

In meinem Blogeintrag von gestern abend habe ich versprochen, heute von vorgestern zu berichten. Ob mir das jetzt gelingt, weiß ich nicht. Au Mann, ob ich das jemals nachgeholt bekomme ... ?

Dabei habe ich von einer Granaten-Neuigkeit zu berichten! Ich bin ab sofort mit einem "Wheely" unterwegs. Wheely ist nun kein neu kennengelernter Pilgerfreund, sondern eine Art künstlicher Packesel. Nur dass dabei nicht ein Esel eingeschirrt wird, sondern ich. Ja, ja, ich weiß, jetzt kommen wieder die Sprüche "Also doch ein Esel ...!" Oder sagen wir mal so: Wo beim Trabrennen der Fahrer im Sulky sitzt, ist bei einem Wheely ein Gepäcksack fest angebracht - und das Pferd bin ich. Und wo das Pferd vier Beine hat, hat das Wheely zwei Räder mit Vollgummireifen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?

  Wir sind nun auf dem Weg nicht nur die Deutschen mit dem Hund, sondern ab jetzt die Deutschen mit dem Hund UND dem Wheely. Und das kam so: Bei Fritz im Aufenthaltsraum läuft über seinen PC in Endlosschleife eine Diashow über seine Camino-Pilgerwanderungen. Auf einem Bild entdeckt Anni ihn mit seinem Hund und eben seinem Wheely und erfährt dabei, dass Fritz alle seine Caminos damit bestritten hat. Fritz seinerseits weiß inzwischen, dass wir bald, ab Pamplona in Spanien, mit (noch) mehr Gepäck pilgern werden. Die Zeltausrüstung ist mal wieder per Post unterwegs und ab Pamplona werden wir sie auch einsetzen müssen. Ich weiß nicht warum. Ist es nur die Tatsache, dass wir Landsleute sind oder  beeindruckt es ihn, dass wir schon so lange auf dem Weg sind und sogar bis Santiago durchgehen wollen oder weil wir einfach nur so umwerfend sympatisch sind, jedenfalls macht er Anni das Angebot: "Wenn du willst, leihe ich dir meinen Wagen für den Rest aus. Ihr bringt ihn zurück, wenn ihr mit deinem Bruder auf der Rückreise seid". (Zur Info: Sohn Sebastian macht mit Freundin Rundreiseurlaub in Spanien und holt uns am Kap Finisterre ab. Herrlich, oder?) Diesen Satz bekomme ich mit und bin elektrisiert. Ich habe zwar keine Ahnung, wie man sich damit über Stock und Stein fortbewegt, aber ich kann mir vorstellen, dass sich damit zwei Probleme lösen ließen: Das zusätzliche Gepäck wäre einfacher transportierbar und meine immer mehr schmerzende Schulter würde entlastet. Anni, Nanni und Johan empfehlen mir, das Angebot anzunehmen. Ich signalisiere vorsichtig Interesse. Sofort schleppt mich Fritz mit auf seinen Speicher, wo das Wheely vor sich hin dämmert. Er schnallt ihn sich um und stellt sich in Positur. "Und?" fragt er und schaut mich dabei schelmisch an. Ich lasse mir noch ein paar Handgriffe erklären, dann willige ich in den Handel ein. Ich bin nicht immer ein Freund von solch schnellen Entschlüssen, aber hier kann ich nicht nein sagen. Fritz und ich schaffen gemeinsam meinen neuen Begleiter die enge Speichertreppe hinunter und ich beginne sofort mit dem Umpacken. Alles raus aus dem Rucksack und rein in die große Tasche des Wheely, Rucksack auf den Speicher. Einen kleinen Tagesrucksack bekomme ich von Fritz noch obendrauf. Etwas später als gedacht, dafür aber in einem neuen Erscheinungsbild, machen wir uns auf die Socken bzw. auf die Räder.

Es geht sich anders! Bei ebener Strecke oder bergab auf Teer - wie ohne Rucksack. Auf Schotter und über Baumwurzeln - ein Rumpeln und Rappeln. Bergauf und durch Schlamm - dann sitzt der Teufel hinten drauf und lacht sich schlapp. Am schönsten sind die engen Schlammpfade, wo man sich mit Rucksack schon immer bemüht, unfallfrei am Rand durchzukommen. Jetzt KANN ich meist gar nicht mehr am Rand gehen, sondern wate mit der Karre direkt mitten durch den Brei. Unterm Strich aber ist Wheely schon jetzt eine Erleichterung.

Es sei denn, Anni geht groß einkaufen, wie zwei Stunden nach dem Start in Eauze! Wir haben kaum noch was an Vorräten, außerdem steht wieder ein Wochenende vor der Tür, und wer weiß, wann wir nochmal so preiswert einkaufen können - und dann auch noch bei LIDL. Als Anni jedenfalls aus dem Supermarkt rauskommt, platzt bald die große Plastiktüte. Einiges daraus wird zwar bei einer Pause direkt hinter dem Einkaufstempel auf einem Stück Wiese verzehrt, der Rest aber füllt die große Tasche vom Wheely und meinen Tagesrucksack bis in den letzten Winkel. Der Tragegurt zieht mir beim Weitermarsch bald die Wanderhose runter.

Der Tag wird immer wärmer, sogar heiß. Der Weg zieht durch viele Weinhänge, rauf und runter, mal mit, mal ohne Schatten. Am liebsten würde ich öfter mal auf kleine Straßen ausweichen, da geht es für mich einfacher. Die Anderen sind davon nicht immer begeistert, da muss man Kompromisse eingehen.

Die letzte Straße bis zur Unterkunft in Monneton, zwei Kilometer vor Nogaro, gehört aber mir. Schnurgerade zieht sie sich für etwa drei Kilometer dahin, zunächst happig bergab, dann noch happiger wieder bergauf. Wir sehen praktisch um 15.45 Uhr, wo wir um 16 Uhr sein werden. Motivierend und stimulierend!

Die Gite ist nett. Zwei Damen begrüßen uns ausgedörrte Gestalten und nehmen sogar Sira freundlich in Empfang. Damit haben sie ja schon bei uns gewonnen. Der Propieteur sei im Moment nicht da, käme aber gleich, uns zu begrüßen. Das Zimmer für Anni, Sira und mich zeigen sie uns trotzdem schon, Nanni und Johan können ihr Zelt auf der Wiese aufschlagen und Bad und Küche mitbenutzen. Alles in Butter!

Wir duschen, lümmeln uns etwas am Pool - aber hallo! - und werden dann vom Chef des Hauses, der gleich seinen Freund und Dolmetscher mitgebracht hat, herzlich begrüßt. Er erinnert mich daran, dass ich bei der Reservierung Halbpension gebucht habe - und damit ist der Startschuss gegeben für einen Abend der Völlerei. Drei andere Gäste, ein Hesse und ein bayrisches Ehepaar, sowie die Ehefrauen von Chef und Dolmetscher, sind mit von der Partie und es beginnt mit einem Aperitif an einer Bierzelt-Garnitur im Garten. Aus einem Aperitif werden drei Aperitifs. Unmerklich verschwinden irgendwann die Ehefrauen und decken drinnen in der Gite-Wohnküche den großen Esstisch. Dann rufen sie uns herein und es beginnt ein köstliches Mahl inclusive Wein-Flatrate. Einige Male will ich mich, nachdem ich rundum satt bin, vom Tisch verabschieden, um mich an den Blogeintrag zu machen, aber ein stets volles Glas hält mich zurück. Trauriges Pilgerschicksal!

Als wir dann alle doch noch vernünftig werden, ist es für den Blog dann wirklich zu spät. Ich kann da nichts für, echt!

So, also morgen erzähle ich euch dann von gestern - oder hatten wir das schon mal?

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Kommentare: 3
  • #1

    Dani (Dienstag, 07 Mai 2013 12:19)

    Na da bin ich ja mal gespannt wie du mit dem Apparillo die nächsten 1000km klar kommst.

  • #2

    Johananni (Dienstag, 07 Mai 2013 12:55)

    Wir haben auf unserer Homepage ein Bild vom Opa und Karren in Aktion gepostet:
    http://johananni.de/reiseberichte/reisebericht-nr-84-der-beginn-des-jakobsweges/

    Liebe Grüße aus dem schönen Sant Jean

  • #3

    Mama Ingrid (Freitag, 10 Mai 2013 22:44)

    Hab auf Nanni und Johans Homepage die Fotos gesehen. Sehr schön, schade, dass es bei euch nicht klappt.
    Mann, seid ihr knatschebraun!
    Hihi, der Esel mit dem Sulki! Wenn es deiner Ehre keinen Abbruch tut und auf den Matschwegen nicht zu hinderlich ist, klingt das doch nach einer sehr rationellen und schulterfreundlichen Lösung. So geh ich meistens einkaufen, aber das zieht mir nicht die Hose aus :-)
    Jaja, schon wieder Völlerei mit Wein-Flatrate! Die Waage neulich war bestimmt doch kaputt ;-)
    LG und Küssi an Sira