Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Siras Weggefährte

Von Molinaseca nach Trabadelo, 19 km

Es ist warm in unserem Gartenhäuschen! Die ganze Nacht über. Endlich! Als ich morgens den Gang ins Bad antreten will, stehe ich vor dem gleichen Problem wie so oft: Abgeschlossen! Keine Chance, in die Herberge zu kommen, bis jemand aufmacht. Toll, geh ich halt fürs kleine Geschäft in den Busch und zum Zähneputzen muss, zum zweiten Mal hintereinander, die Trinkflasche herhalten. Als ich kurz vor unserem Aufbruch das Herbergsgelände durchstreife, finde ich die Außen-Sanitäranlagen. Toll! Beim nächsten Mal sollte ich auf sowas wirklich eher achten!

 

Ricarda steht pünktlich zur vereinbarten Zeit vor unserem "Haus" und wir laufen raus aus der Stadt. Kurz nach uns laufen auch Adriana und Ollie los, das andere Hundepilgerteam. Wir haben quasi beide in der gleichen Herberge übernachtet. Ollie unterscheidet sich in einigen Punkten ganz gehörig von unserer Sira. Zum Einen trägt er zwar die gleiche Fellfarbe und Größe, ist aber doppelt so schwer wie Sira. Zum Anderen ist Adriana damit gesegnet, dass er in keinster Weise am Jagen interessiert ist. Außerdem hat er keine Probleme damit, alleine gelassen zu werden.

 

Also kann Adriana in den Schlafsaal, während Ollie einfach bei sperrangelweit offener Außentür am Kamin im Aufenthaltsraum schnarcht. Und trotz einiger Unterschiede und Revierzankereien verstehen sie sich blendend. Ein Glück! Denn wir wissen an dem Morgen schon, dass wir abends wieder die gleiche Herberge teilen werden. Hundefreundliche Herbergen sind auf diesem Weg eben doch abgezählt. Aber so lange wir alle immer noch einen Schlafplatz finden ist ja alles gut und die Hunde sind glücklich, weil sie endlich mal einen Gefährten haben, der ihnen länger erhalten bleibt als die kurzen Pausenbekanntschaften.

 

Der anfängliche Weg gestaltet sich nicht übermäßig aufregend. Immer an der Straße entlang. Naja, das Gute ist ja: Es ist Sonntagmorgen. Kaum ein Auto begegnet uns. Wie das immer so ist, wenn man mit "Fremden" wandert: Man hat viel zu quatschen und die Kilometer machen sich fast von allein. Wir laufen den Hügel hinunter und auf Ponferrada zu, durch den Vorort Campo und über die alte Steinbrücke über den Fluss Boeza, bis wir an der Templerburg ankommen, einem beeindruckenden mittelalterlichen Bauwerk. Sie diente seinerzeit dazu, den Weg der Pilger zu sichern. Außerdem waren die Templer so etwas wie die ersten Bankautomaten. Man konnte bei ihnen Geld abholen, führte dadurch natürlich immer nur kleinere Mengen Bares mit sich und war deshalb für Diebe weniger interessant.

 

Zur Pause setzen wir uns gemütlich vor eine Bar. Irgendwann registrieren wir von Weitem eine wild mit den Armen rudernde Pilgerin. Obwohl das Wetter schön ist, trägt sie ihren orangefarbenen Poncho über dem Rucksack. Moment mal, diesen Poncho kenn ich doch... Und tatsächlich: Es ist Ingrid, die Belgierin, mit der wir vor gefühlten Monaten, kurz vor Santo Domingo de la Calzada, ein Stück gelaufen sind und uns super verstanden haben. Damals hat sie spontan einen Ruhetag einlegen müssen, weil ihre Knie nicht mehr wollten. Wir dachten, wir sehen uns nicht mehr wieder und sie holt den Rückstand nicht mehr auf, aber jetzt ist sie tatsächlich hier! Die Wiedersehensfreude ist groß. Wir laufen spontan zusammen weiter und erzählen, wie es uns in den vergangenen Tagen ergangen ist. Gemeinsam mit Ricarda bringen wir außerdem das Thema "Endspurt" an den Tag.

 

Bald ist es soweit. In drei Wochen liege ich (hoffentlich schon) frisch geduscht und mit frisch gewaschener Wäsche vorm Fernsehen. Freuen wir uns auf das Heimkommen? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Was haben wir mitgenommen, gelernt von dieser Reise? Was haben wir genossen? Also, ich muss sagen, ich freue mich auf zu Hause! Meine Tage hier sind um, es war schön und außergewöhnlich, ich bin daran gewachsen, aber so langsam muss ich sagen: Es reicht mir. Ich kann einen Haken dahinter machen. Denn ich freue mich auf zu Hause und alles, was dazugehört! Und das ist eine Menge wert!

 

Während wir so in die Gespräche vertieft sind, verfliegen weitere Kilometer, aus der Stadt heraus, an der Straße entlang, bis nach Fuentesnueva, wo die nächste Rast ansteht. Eine Katze foltert Sira mal wieder mit ihrer Anwesenheit. Gemeinsam sind wir stark! Schwupp!- stehen vier Stühle und ein Tisch hinter der Hausecke und wir verbringen doch noch eine erholsame Pause im toten Winkel vor der Bar. Als wir in Camponaraya auf einen Anstieg in der Sonne zusteuern, der uns heile über die Autobahn bringen soll, müssen wir halten: Zip-off-time! Die Mädels haben Hitze und müssen dringend etwas loswerden, zumindest die langen Hosenbeine! Ich gönne uns nur ein kurzes Verschnaufen und ein Wässerchen für Sira, dann gehts weiter.

 

Bei der letzten Pause war ich einigermaßen geschockt, dass wir noch so viele Kilometer vor uns haben für heute. Wir haben gerade mal die Hälfte geschafft! Ojeoje, das kann ja noch ein langer Nachmittag werden! Durch Weinhügel und Wäldchen laufen wir nach Cacabelos, wo wir Ingrid an der Gemeindeherberge abladen. Sie möchte in einer der originellen Zweibettboxen schlafen, die den runden Hof um die Kirche herum einrahmen. Ricarda, Papa und ich laufen das letzte Stück noch bis zum Dorf Pierzo, wo eine einzige kleine Herberge uns mit Hund bei der Telefonanfrage akzeptiert hat. Wir haben also zwei Betten reserviert und irgendwie würde man das mit dem Hund auch schon hinkriegen.

 

Als wir ankommen, sehen wir schon das drohende Schild an der Zufahrt: "completo!" Kein Problem, unsere Betten haben wir... Dann mal wieder die Ernüchterung: Kein Hund im Haus. Ok, gehe zumindest ich also ins Zelt... Kurz nach uns kommt eine abgekämpfte kleine Japanerin dazu und fragt, ob es wohl noch ein freies Bett gäbe. Glück gehabt, denn meines ist ja gerade frei geworden. Keiko ist so glücklich, dass sie nicht noch vier Kilometer weiter muss, dass sie uns ihre Tüte frisch gekaufter Kirschen schenkt. Bald laufen auch Adriana und Pilgerhund Ollie mit einem Pulk Pilgerfreunden ein. Kurz wird es stressig und laut. Zwanzig Leute, die durcheinanderschnattern und laufen, dazwischen zwei Hunde, die sich gerade nicht ganz klar sind, wer hier jetzt Hausrecht genießt. Es wird laut, die zwei stänkern sich an (vor allem Sira, denn sie war schließlich zuerst da), und alle Menschen haben gehörigen Respekt bis Angst. Jeder bezweifelt, dass wir heute Nacht auch nur ein Auge zutun. Blutige Auseinandersetzungen werden erwartet. Adriana und ich bleiben als einzige cool. Wir gehen hinters Haus mit unseren Krawallnudeln, kümmern uns um unsere Zelte und die Hunde werden sich schnell einig und landen im Spielmodus. Noch zwei oder dreimal im Laufe des Abends müssen die zwei mit kurzen Bell-, Knurr- oder Schnappattacken die Fronten klären.

 

Den Rest des Abends, beim Essen, vor den Zelten oder bei der gemütlichen Gitarrenrunde liegen die zwei gelassen einen Meter voneinander entfernt, schlafen und sind zufrieden. Hätte EIN MENSCH das vor einem halben Jahr für möglich gehalten?!?

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Kommentare: 3
  • #1

    Fritz (Dienstag, 11 Juni 2013 18:29)

    Hoi Annika,
    hast du nicht das Datum aktualisiert? Jetzt habt ihr 2 Einträge mit dem Datum 9.6..
    Freu mich auf das Wiedersehen am 27.6. (oder so um den Dreh rum).
    Aber das mit dem Datum gefällt mir - hast bei deiner Aufzählung vergessen: Zeitgefühl.
    Im Alltag, auf dessen Rückkehr du dich freust spielt die Zeit und das Zeitmanagment eine sehr grosse Rolle. Und wie fühlt es sich an, wenn dies nicht mehr so wichtig ist?

    Gruss Fritz

  • #2

    Mama Ingrid (Dienstag, 11 Juni 2013 23:38)

    Ich glaube, diese Pilgerbekanntschaften oder sogar -freundschaften sind eine ganz wichtige Erfahrung auf eurem Weg - auch für Sira. Ich freue mich für sie.
    ZweibettBOXEN um den Kirchhof herum? Was ist das denn für eine Übernachtung?
    Gemütliche Gitarrenrunde und zwei sich akzeptierende Hunde hört sich sehr idyllisch an...

  • #3

    Dani (Mittwoch, 12 Juni 2013 13:13)

    Wir freuen uns auch schon sehr auf euch und die Fotos.